Schaurige Schlangenbisse

Der Bloody Snake Bite ist der passende Drink zu Gruselgeschichten über tote, aber noch tödlich zubeißende Schlangen. Natürlich alles bloß ausgedacht. Oder?

Foto Maurizio Di Iorio

Es ist einer dieser Abende, an dem schon viel Sinnvolles und Tiefenwirksames die Runde gemacht hat, also vier Flaschen südafrikanischer Weißwein, ein paar Gedanken und Ideen, zwei, drei Weltherrschaftsstrategien für die nächsten fünf Jahre und einiges an Lebenshilfe, und dann kreist noch hier und da eine halblegale Substanz. Wir schauen uns die Reste der geräucherten Forelle an, die in der Mitte des Tisches liegt, na ja, da liegt eigentlich nur noch das, was man in Comics an streunende Katzen weiterreicht, also der Schwanz mit einer Gräte und einem Kopf dran. Der Kopf hat ein Maul (meine Wahrnehmung läuft gerade etwas schlicht und langsam, pardon), und in dem Fischmaul sind Zähne. Ich sage: »Früher im Spessart, wenn meine Mutter Forellen gemacht hat, gebraten und mit gerösteten Mandeln, da landeten die Biester so frisch aus dem Teich in unserer Küche, dass meine Mutter immer ganz dicke Gummihandschuhe anziehen musste, weil die toten Fische noch voll gebissen haben.«

Vier leere Gesichter, die sich große Mühe geben, mich nicht zu gelangweilt anzusehen.

»Wow, Simone«, sagt einer, »ganz tolle Geschichte.«

Meistgelesen diese Woche:

Mir ist klar, dass ich einen drauflegen muss.

»Aber kennt ihr diese Story von den Köchen in China, die Kobra zubereiten wollen und dann von der geköpften Schlange gebissen werden und sterben?«

»Jetzt erzählst du doch Quatsch.«

»Nein, das hab ich in der Zeitung ge­lesen!«

Ich merke, wie ich müde werde. Wir haben seit dem frühen Abend so große Dinge besprochen, zum Beispiel auf Lücke leben und in der Risikozone schreiben, wir haben Pläne für Gewerkschaften gemacht und für die allumfassende Abwesenheit von Regeln und Moral, wir haben uns bessere Regierungsformen ausgedacht und nach der schönsten aller philosophischen Strömungen gesucht, wir haben auf Richard David Precht geschimpft und nach Fernsehsendungen mit Hannah Arendt gerufen, und jetzt habe ich mich irgendwie in die blöde Situation manövriert, dieser inhaltlich satten Runde schräge Kobrageschichten verkaufen zu müssen.

Suchmaschine an: Koch Kobra totgebissen.

Suchmaschine: Hallo! Januar 2023, China, Koch will Schlangensuppe kochen, abgetrennter Speikobrakopf beißt zu. August 2021, China, Koch schneidet Schlange Kopf ab, 20 Minuten später beißt der Kopf zu. ­August 2014, China, Koch, Schlangensuppe, das Übliche.

Ich zünde mir eine Zigarette an.

»Da habt ihr’s. Alle paar Jahre. Die Rache der Kobras. Wir sind da an einer ganz heißen Sache dran, Leute.«

Einer nimmt mir die Such­maschine aus der Hand und sucht selbst.

»November 2022, Indien, ein achtjähriger Junge soll eine Ko­bra totgebissen haben. Was sagst du jetzt, Schlangenhexe?«

Westernstimmung.

Ich sage: »Keine Ahnung, wie ich so schnell zur Schlangenhexe geworden bin, kann ich bitte noch was zu trinken haben?«

Einer steht auf und geht runter in die Küche, der Koch ist zwar, dem Himmel sei Dank, nicht mehr da, doch dies ist ein offenes Haus, man kann sich schon mal zu später Stunde ein paar Sachen organisieren und am nächsten Morgen dafür bezahlen, und wenn das jetzt ein Märchen wäre und ich wirklich eine Schlangenhexe, käme einer zurück mit 6 cl Southern Comfort, 12 cl Cranberrysaft, einem Spritzer Rose’s Lime Juice, einer Limettenscheibe und Eiswürfeln und würde nonchalant einen scharlachroten Bloody Snake Bite mixen, mit dem nicht nur die Schlangenhexe ein glückliches Ende fände, sondern die ganze verdammte Geschichte, inklusive der Abschaffung von schrillen Nachrichten über in Kochkörpern landendem Kobragift – und einer insgesamt ruhigeren Weltlage.