Darf man gefundenes Geld behalten?

Unsere Leserin hat einen 100-Euro-Schein auf der Straße entdeckt und fragt sich seither, wie man sich in dem Fall richtig verhält.  

Illustration: Serge Bloch

»Ich habe kürzlich mitten auf dem Gehweg in einem belebten Stadtviertel einen 100-Euro-Schein gefunden. Ich habe ihn aufgehoben und mich umgeschaut, ob ihn jemand vermisst, konnte aber niemanden entdecken. Daher habe ich die 100 Euro eingesteckt. Ich frage mich seitdem, wie man in so einem Fall moralisch richtig reagiert. Aufheben oder liegen lassen? Dem vor dem Supermarkt regelmäßig sitzenden Bettler zustecken? Oder das Geld im Fundbüro oder im nahe gelegenen ­Supermarkt abgeben, falls sich dort der- oder diejenige melden sollte? Oder spenden? Oder einfach behalten, weil man ja ­selber auch schon öfter mal Geld oder andere Dinge verloren hat? Ich habe den Betrag letztlich gespendet.« Sylva O., München

Sie sind ja wirklich bezaubernd. Die meisten Leute hätten den Schein einfach eingesteckt und sich gefreut. Denn wie Sie sagen: Manchmal verliert man, warum nicht auch mal gewinnen? Sie aber fragen nach dem moralisch richtigen Handeln. Nur: Mit Moral kommt man in dieser Angelegenheit nicht weiter. Sie ist ganz profan gesetzlich geregelt. Paragraf 965 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Anzeigepflicht des Finders.

Die Sache verhält sich so: Eine Fundsache bis zu einem Wert von zehn Euro können Sie einfach behalten. Alles darüber hinaus müssen Sie melden. Und zwar, wie es heißt, unverzüglich. Entweder bei der nächsten Polizeidienststelle oder beim örtlichen Fundbüro. Sonst machen Sie sich tatsächlich strafbar. Aber noch könnten Sie Glück haben, und darum sollten Sie beim Abgeben Ihre Daten hinterlassen. Denn meldet sich sechs Monate lang kein Eigentümer, geht die Fundsache in den Besitz des Finders über, das wären dann also Sie. Und sollte sich der Eigentümer melden, steht Ihnen als Finder immerhin ein Finderlohn zu. Jedenfalls wenn der Fund mehr wert ist als 50 Euro.

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In Ihrem Fall würde sich der gesetzlich vorgeschriebene Finderlohn auf fünf Euro belaufen, fünf Prozent des Werts. Ist ein Fund mehr wert als 500 Euro, beträgt der Finderlohn für die ersten 500 Euro fünf Prozent und für alles darüber noch mal drei Prozent. Hat etwas einen rein emotionalen Wert, muss der Finderlohn individuell vereinbart werden, für Tiere liegt er bei drei Prozent, wie auch immer sich deren Wert bemisst.

Sollte sich sechs Monate lang kein Eigentümer melden und auch kein Finder Interesse zeigen, wird die Fundsache versteigert. Es ist wirklich alles geregelt, für eigenmächtige moralische Überlegungen bleibt für alles, was mehr wert ist als zehn Euro, keinerlei Spielraum. So bezaubernd Sie auch sein mögen, Sie haben sich unwissentlich der Unterschlagung schuldig gemacht.