Stille Wut

Eine Frau pflegt und bezahlt seit neun Jahren alleine das Grab der Mutter. Wie soll sie ihre Schwester darauf ansprechen, dass es Zeit wäre, sich zu beteiligen? Unser Kolumnistin plädiert für mehr Zorn.

Illustration: Serge Bloch

»Vor neun Jahren starb unsere Mutter. Sie liegt in einem von mir gepflegten Urnengrab, dort, wo ich wohne. Meine Schwester lebt 400 Kilometer entfernt. Wir haben kein enges Verhältnis zueinander, mögen uns, sehen uns aber selten. Mich ›wurmt‹, dass sie in all den Jahren nie auf den Gedanken kam, sich mal bei mir für die Grabpflege zu bedanken oder sich an den Kosten für die Blumen zu betei­ligen. Wie könnte ich mich verhalten? So direkt möchte ich nicht mit der Tür ins Haus fallen.« Brigitte K., Alfter

Lassen Sie mich mit einer Gegenfrage beginnen: Warum nicht? Warum möchten Sie nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen? Das frage ich mich wirklich, beziehungsweise das frage ich Sie, denn nur Sie können das beantworten. Was wäre so schlimm daran, Ihre Schwester direkt zu fragen, warum sie sich noch nie bei Ihnen bedankt hat? Aber wissen Sie, was, ich würde Ihnen sogar raten, noch direkter zu sein. Die Frage, warum Ihre Schwester da von selber nie drauf­gekommen ist, können Sie sich eigentlich sparen. Das kommt Ihnen vermutlich entgegen, weil Ihnen unangenehm ist, dass die Frage, die Sie nicht stellen wollen, unüberhörbar einen Vorwurf in sich trägt. Also weg mit ihr und stattdessen lieber zum Kern des Problems und gleichzeitig zu dessen Lösung: Sagen Sie Ihrer Schwester, dass sie nun neun Jahre lang alleine für den Unterhalt und die Pflege des Grabes Ihrer Mutter aufgekommen sind, und fragen Sie nach Unterstützung. Überlegen Sie sich vorher, was sich für Sie fair und richtig anfühlen würde, und danach fragen Sie. Ohne Schuldzuweisung.

Denn man kann die Sache auch ein bisschen anders drehen, und dann müssten Sie sich die Frage gefallen lassen, warum um Himmels willen Sie neun Jahre lang nie etwas gesagt haben. Ein Jahr, okay. Mit etwas Groll zwei. Aber danach noch mal sieben? Verehrte Frau K., neun Jahre lang nichts zu sagen, obwohl man sich seinen Teil denkt, ist aggressiver, als nach drei Jahren mal alles rauszubrüllen. Ich würde mal sagen, bei Ihnen beiden steht es eins zu eins. Genauso wenig, wie Ihre Schwester sich jemals angemessen bei Ihnen entschuldigen können wird, werden Sie erklären können, warum Sie geschwiegen haben. Also. Bitten Sie, es in Zukunft anders zu machen. Sollte Ihre Schwester Ihnen ihre Hilfe verweigern, schreiben Sie wieder. Dann gehen wir über zu Plan B. Aber erst dann.