Das neue Vier-Gefühl

Hey, du Ich: Unsere Kollegin hat bei Facebook ihre Doppelgängerin kennengelernt.

Wir sind vier. Vier Kerstin Greiners. Wer auf Facebook in das
»Suche«-Feld meinen Namen eingibt, kann uns sehen: vier verschiedene Fotos mit viermal demselben Namen daneben. Auf einem Foto bin ich zu sehen. Aus den anderen dreien schauen andere Mädchen heraus: Eine küsst ihren Freund auf die Wange, zu einer anderen haben sich Freundinnen aufs Foto gedrängt. Die anderen Kerstin Greiners anzusehen fühlt sich an, als würde man einen verloren gegangenen Teil seiner Familie wiederfinden: So seht ihr aus! Dabei haben die anderen nur den gleichen Vor- und Nachnamen. Trotzdem ist da so was wie Verbundenheit: Wer sind diese anderen? Was machen die? Und: Kennen die mich?

»Google-Gänger« nennt man die Namensvetter, die man beim Googeln seines Namens im Internet findet: Vor drei Jahren hat es dieser Begriff bei der American Dialect Society zum Wort des Jahres geschafft. Zwischen Google und Facebook gibt es nun aber einen Unterschied: Beim Googeln seiner Doppelgänger stößt man auf Schulen, Arbeitsstellen, Vereine – biografische Daten, die lang zurückliegen können. Bei Facebook sitzen meine Ichs genau eine Mail weit weg. Ich schreibe: »Hallo Kerstin Greiner. Ich heiße auch Kerstin Greiner. Gruß aus München.« Den ersten Kontakt zu einer Doppelgängerin hatte ich in den Neunzigern, zu Zeiten meiner ersten Gmx-Mail-Adresse. Jemand wollte einer Kerstin Greiner in der Schweiz eine Mail senden, tippte aber anstelle gmx.ch die Endung gmx.de. Im Anhang: »Fotos von deinem Geburtstag«. So sah ich zum ersten Mal in die Augen einer anderen Kerstin Greiner. Erschrocken sendete ich die Mail zurück.

Später habe ich gelernt: Es gibt viele von uns. Nicht so viele wie etwa Eva Fischers oder Susanne Schneiders. Aber genug, um den Überblick zu verlieren. Kerstin Greiner No. 1 meldet sich nach 23 Minuten: »Grüße aus Dortmund!« In der Zeile über unserer Konversation steht nun zu lesen: »Nachrichten zwischen Kerstin Greiner und Dir«. Jetzt bloß nicht schizophren werden, denke ich. Kerstin Greiner No. 1 trägt Lippenpiercing und schöne rötliche Haare, lebt in Dortmund und studiert Medieninformatik. Sie besucht gern das Skispringen in Oslo, weswegen sie auf vielen Facebook-Fotos Wintersachen trägt.

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Als ich schreibe, dass ich Journalistin bin, antwortet sie: »Süddeutsche Zeitung? Dann bin ich schon öfter über dich gestolpert. Wenn ich bei Google nach mir suche, kommt immer was von Süddeutscher Zeitung!« Ich schreibe zurück: »Das ist mein Trick: Mich über möglichst viele Zeitungsveröffentlichungen bei Google ganz nach oben zu arbeiten!« Sie schickt mir ein lachendes Computergesicht aus Bindestrich und Klammer.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Menschen mit dem gleichen Namen haben oft den gleichen Beruf)

Eigentlich können wir nicht anders, als zu antworten, wenn uns jemand schreibt, der genauso heißt wie wir – sagen Forscher. Eine ganze Armada von ihnen hat herausgefunden, dass wir Menschen es mögen, wenn uns Objekte, Orte, Personen, Namen an uns selbst erinnern. Wir bevorzugen sogar die Buchstaben unseres eigenen Namens mehr als andere des Alphabets: Dass Leute mit einem L am Namensanfang gern auch einen Schokoriegel mit einem L kaufen, nennen Psychologen »Name-Letter-Effekt«.

Die Eigenschaft, sich selbst so irre toll zu finden, bezeichnen sie als implicit egotism, »unbewusste Ich-Bezogenheit«. So konnten kanadische Forscher in einem Versuch mit 2960 Personen, denen sie unverfängliche Mails schickten, auch beweisen: Jemand, der Post von einem Namens-Doppelgänger bekommt, antwortet 10,3 Prozent häufiger, besonders Frauen.

Wahrscheinlich spielen dabei auch vermutete Familienbande eine Rolle, denken die Psychologen. Kerstin Greiner No. 2 meldet sich am nächsten Tag: »Hehe. Hi, Kerstin. Das ist ja lustig.« Sie arbeitet in Düsseldorf bei einer Werbeagentur und ist gerade mit dem Mann auf ihrem Facebook-Foto zusammengezogen. Ihre Haare sind engelsblond und auf ihrem Fuß trägt sie eine Tätowierung: »Since 1977«.

Als ich ihr erzähle, dass Kerstin Greiner No. 1 auch mit den Medien zu tun hat, sagt Kerstin Greiner No. 2: »Dann könnten wir ja eine Sekte gründen.« Auch die amerikanische Autorin Angela Shelton hat in ihrem Buch Finding Angela Shelton, in dem sie 40 Namensvettern trifft, erstaunt festgestellt, dass viele davon Krankenschwestern waren. Eine Erklärung darüber wagte sie nicht – außer den Gedanken, dass der Name zu einer Zeit modern gewesen war und damit 20 Jahre später auch eine bestimmte Berufswahl.

Wir drei Kerstin Greiners haben noch ein paar Tage weitergeplaudert; bis heute kommt immer wieder eine Mail, bei der ich nie genau weiß, welche Kerstin Greiner gerade schreibt. Die ganze Sache ist ein großer Spaß – solange sich alle ordentlich aufführen: Nur wenn sich eine aus der Namensgruppe danebenbenimmt, kann der saubere Internetauftritt für alle dahin sein. Wenn eine plötzlich etwa Pornostar wird. Oder Massenmörderin. So gesehen darf ich mit meinen Kerstin Greiners sehr zufrieden sein. Nur die vierte, die macht uns Sorgen.

Sie meldet sich nicht, trotz mehrerer »Hallo«-Mails. Was mag das bedeuten? Von ihrem Facebook-Profil wissen wir, dass sie 2008 ihren Highschool-Abschluss in den USA gemacht hat. Hat sie so lange nicht bei Facebook vorbeigeschaut? Schafft sie es nicht, ihre Mails zu beantworten? Oder heckt sie etwa einen gemeinen Anschlag auf unsere sauberen Internetbiografien aus? Wir werden No. 4 im Auge behalten.