SZ-Magazin: Professor Thompson, zurzeit läuft die Kunstmesse Art Basel Miami. Aber seit der Finanzkrise geht es auf dem Kunstmarkt bergab. Welche Rolle spielen Messen heute überhaupt?
Don Thompson: Die Zahl der Kunstmessen ist innerhalb eines Jahres stark geschrumpft, 2008 gab es noch 360, jetzt sind es nur noch rund 190. Die Aussteller, die übrig geblieben sind, zeigen eher günstigere Werke, verkaufen weniger und versuchen irgendwie neue Kunden zu gewinnen, wenn die alten nicht mehr kommen.
In welche Richtung entwickelt sich der Kunstmarkt gerade?
Die Preise sind bis April gefallen – bei zeitgenössischer Kunst um vierzig bis fünfzig Prozent im Vergleich zu den vorherigen Spitzenpreisen – und seitdem weitgehend stabil geblieben. Soweit man das beurteilen kann. Denn die meisten Deals werden immer noch privat abgewickelt, also durch Galerien und Agenten, und da verrät keiner den Preis. Im Vergleich zu einem Picasso oder van Gogh scheint zeitgenössische Kunst eine eher riskante Investition zu sein. Trotzdem haben Künstler wie Damien Hirst, Jeff Koons und andere in den letzten Jahren immer wieder Rekordpreise von vielen Millionen Dollar erzielt. Warum?
Die meisten Rekordpreise werden bei Auktionen erzielt. Da hängt der Erlös nicht nur vom Objekt ab, sondern auch vom Wunsch des jeweiligen Bieters, in der Öffentlichkeit souverän dazustehen, also nicht einem anderen Bieter zu unterliegen. Die Preise beruhen zum Teil tatsächlich auf reiner Angeberei. Wenn der Verkauf über einen Galeristen läuft, sieht das natürlich anders aus.
Die Wertentwicklung zeitgenössischer Künstler, geschätzt von der englischen Agentur Artprice. Fachleute sehen solche Schätzungen kritisch, zur Orientierung werden sie aber auch von Auktionshäusern und Galeristen herangezogen.
Und wie legen Galeristen ihre Preise fest?
Auf jeden Fall nicht nur, indem sie sich überlegen, was ein Künstler wert sein könnte. Die Preise spiegeln auch das Ansehen des Kunsthändlers: Wenn ein Superstar-Händler wie Larry Gagosian in New York ein Werk anbietet, dann erzielt es das Doppelte oder Dreifache dessen, was ein normaler Händler verlangen könnte. Das Werk ist allein dadurch schon teurer, dass die berühmte Galerie Teil seiner Geschichte wird.
Sie haben das Prinzip der Preisentwicklung auf dem Kunstmarkt mal mit einer Sperrklinke verglichen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Eine Sperrklinke ist ein Zahnrad, das sich nur vorwärts bewegt, nie rückwärts. Auf die Preise in der ersten Liga des Kunstmarkts übertragen bedeutet das: Aufwärts geht es immer, runter nie. Die Preise, die auf Auktionen für Werke eines bestimmten Künstlers verlangt werden, fallen nie.
Wie geht das?
Auf Auktionen richtet sich der Schätzpreis nach den bisher erzielten Erlösen. Ein hoher Erlös bei einer Auktion führt zu höheren Schätzpreisen bei der nächsten, was wiederum einen höheren Verkaufspreis nach sich zieht. Aber wenn ein Werk zwei- oder dreimal unter dem Schätzpreis bleibt, wird der betreffende Künstler in Zukunft einfach nicht mehr angeboten, er gilt dann intern als gescheitert. Das erfährt natürlich die Öffentlichkeit nicht, aber es hat zur Folge, dass auf großen Auktionen nur noch die Künstler vertreten sind, deren Preise steigen.
Und was passiert mit Künstlern, deren Preise nicht steigen?
Tja … Wenn eine Spitzengalerie nacheinander zwei Ausstellungen hat, bei denen die Werke eines bestimmten Künstlers nicht alle verkauft werden, lässt der Galerist eher den Künstler fallen als seine Preise. Schließlich beruht das Geschäft einer Galerie auf dem impliziten Versprechen an die Sammler: Was ihr bei mir kauft, steigt im Wert.
Welche Künstler sind Ihrer Meinung nach am deutlichsten überteuert?
Es gibt eine ganze Reihe von Malern aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, deren Werke eine Zeit lang in Mode waren und Preise um die 12 000 Euro erzielten, die aber mittlerweile vergessen sind und jetzt nur noch für hundert Euro verkauft werden können.
Der Künstler Damien Hirst wird immer kritischer gesehen - aber immerhin erzielt er noch gigantische Preise.
Wie sieht es mit der zeitgenössischen Kunst aus? Die erzielt ja oft noch horrende Preise.
Wir werden vierzig bis fünfzig Jahre warten müssen, bevor wir wissen, welche Werke ihren Wert bewahren und welche nicht. Umfassende Prognosen wird Ihnen da niemand geben können.
Bitte nennen Sie uns trotzdem ein paar Namen, bei denen die Preise nachgeben könnten.
Dann tippe ich darauf, dass es bei Künstlern wie Andy Warhol,
Damien Hirst oder Jeff Koons irgendwann wieder bergab gehen könnte. Zum Beispiel Warhols Green Car Crash von 1964: Das Bild wurde 2007 für rund 72 Millionen Dollar verkauft. Sehr fraglich, ob das noch mal jemand zahlt.
Noch ein Beispiel, bitte.
Sie müssen das Ganze mal aus einer anderen Perspektive betrachten: Das teuerste privat verkaufte Gemälde ist Jackson Pollocks No. 5, 1948, das der Musikproduzent David Geffen 2006 für 140 Millionen Dollar verkauft hat – zurzeit besitzt es angeblich der mexikanische Investor David Martinez. Falls Pollock in zehn Jahren an Beliebtheit einbüßt und das Bild für »nur« siebzig Millionen Dollar wiederverkauft würde, dann würde das bedeuten, dass es zuvor das am stärksten überteuerte Werk der Gegenwart war. Aber es wäre immer noch unfassbar viel wert!
Preis und Wert hängen bei einem Künstler wie Pollock also nicht unbedingt zusammen?
Im Kunstmarkt wird gern der künstlerische Wert eines Werks mit seinem Verkaufspreis gleichgesetzt. Dabei handelt es sich ja nur um eine kurzfristige Einschätzung. Der Preis ist das, was jemand morgen oder übermorgen für ein Kunstwerk zahlen könnte. Der Wert ergibt sich daraus, wie die Gesellschaft das Werk ein oder zwei Generationen später beurteilt, also nach ästhetischen und kunsthistorischen Kriterien.
Sie haben mal beschrieben, dass von tausend Künstlern, die in den Achtzigerjahren von wichtigen Galerien in London und New York verkauft wurden, heute nur noch zwanzig auf vergleichbarem Niveau vertreten sind. Wie kommen Sie auf diese Zahl?
Diese Statistik ist allgemein anerkannt. Ich habe sie überprüft, indem ich die heutigen Preise von rund 200 Werken mit denen verglichen habe, die sie damals beim Händler erzielten. Die meisten werden natürlich nur noch auf zweitrangigen Auktionen gehandelt – aus den vorhin beschriebenen Gründen.
Und woran liegt es, dass die Superstars der zeitgenössischen Kunstszene es ganz nach oben geschafft haben?
Am oberen Ende des Kunstmarkts, das etwa ein Prozent ausmacht, ist Branding das A und O: Der Künstler, der Händler, das Auktionshaus funktionieren nur als Marken, das gilt auch für die Museen und die Sammler, die mit den Werken eines Künstlers zu tun haben. Namen wie Koons oder Hirst oder eben auch Saatchi sind heute fast so gängig wie Modelabels oder Fußballvereine.
Soll heißen, die Inhalte sind weniger wichtig als der Eindruck?
Ein Mitarbeiter des Auktionshauses Bonhams in London hat mir mal gesagt: »Unterschätze niemals die Unsicherheit eines Käufers, der zeitgenössische Kunst kaufen will.« Die Käufer verlassen sich auf bekannte Markennamen von Auktionshäusern, Galeristen und Künstlern, weil ihnen selbst die Urteilsfähigkeit abgeht. Wenn Sie sagen können, »Das Spot Painting von Damien Hirst habe ich bei einer Auktion von Sotheby’s gekauft«, wird niemand Ihr Urteil infrage stellen, denn das sind alles etablierte Markennamen, die Qualität bedeuten. Sie signalisieren damit, dass Sie als Sammler auf der Höhe der Zeit sind – und viel Geld haben.
Sind Auktionshäuser und Kunstsammler also einflussreicher als Kunstkritiker?
Kunstkritiker haben so gut wie keinen Einfluss auf den Markt. Die Kunstgeschichte wird von Sammlern geschrieben. Niemand wäre je auf die Idee gekommen, dass Gustav Klimt zu diesem einen Prozent an der Spitze gehört. Aber dann kam 2006 der Unternehmer Ronald Lauder – der übrigens auch Präsident des New Yorker Museums of Modern Art ist – und zahlte den damaligen Rekordpreis von 135 Millionen Dollar für das Porträt von Adele Bloch-Bauer.
Laien erscheint das alles längst wie ein virtuelles Spiel mit Zahlen, die mit tatsächlichen Werten nichts mehr zu tun haben.
Oh nein, die Preise sind alles andere als virtuell. Wirtschaftlich gesehen spiegeln sie einfach das wieder, was ein Käufer zu zahlen bereit ist. Punkt. Ein wichtiger Faktor ist vor allem auch die Seltenheit: Wenn ein Picasso aus der »Rosa Periode« hundert Millionen Dollar erzielt, ist das nichts Ungewöhnliches, denn in den nächsten zehn, zwanzig Jahren werden keine großen Bilder aus der »Rosa Periode« auf den freien Markt kommen, die sind jetzt alle in den Händen von Sammlern und Museen, bei denen man davon ausgeht, dass sie sie jetzt nicht verkaufen. Die Frage ist aber: Warum zahlt jemand zwölf Millionen Dollar für den Hai von Damien Hirst, obwohl der Künstler gerade mal Anfang vierzig ist und noch produziert?
Vor der Finanzkrise hat der Kunstmarkt einen unvergleichlichen Boom erlebt. Gab es eigentlich früher auch schon solche Konjunkturschwankungen?
Der letzte vergleichbare Aufschwung dauerte von 1987 bis 1991 und endete in einem Crash, von dem sich der Markt erst nach 15 Jahren wieder erholt hat – und dann begann auch schon der Boom, von dem wir gerade sprechen. In jedem Jahrhundert gibt es durchschnittlich vier solcher Ab- und Aufschwungphasen. Ein Crash zieht manchmal den ganzen Kunstmarkt in Mitleidenschaft, so wie 1991 und heute, mitunter aber auch nur eine bestimmte Gattung, sagen wir, so etwas wie die schottische Aquarellmalerei nach 1975. Insofern ist jede Situation anders.
Welche langfristigen Auswirkungen wird die Finanzkrise auf den Kunstmarkt haben?
Wenn die Gesamtwirtschaft sich irgendwann erholt, wird der Kunstmarkt mit etwas sechs bis zwölf Monaten Verspätung folgen. Und eins ist jetzt schon klar: Ungefähr ein Drittel der zeitgenössischen Kunstwerke wird nie wieder die Preise von 2008 erzielen. Die meisten Käufer trauen sich nicht, wieder in den Markt einzusteigen, weil sie nicht beurteilen können, ob die Preise schon ganz unten sind. Deshalb warten sie lieber, bis der Markt wieder aufwärts tendiert.
Sie haben herausgefunden, dass acht von zehn Werken, die ein Künstler direkt verkauft, nie wieder den einstigen Kaufpreis erzielen, und das gilt auch für die Hälfte aller auf Auktionen verkauften Werke. Ist zeitgenössische Kunst eine schlechte Geldanlage?
Leider ja. Man liest immer nur von den spektakulären Verkaufserfolgen, von Kunstwerken, die das Zehnfache des bisherigen Kaufpreises erzielen. Niemand schreibt über die vielen Werke, die für ein Fünftel des letzten Preises den Besitzer wechseln.
Was raten Sie jemandem, der jetzt zeitgenössische Kunst sammeln möchte?
Das kommt darauf an, mit welchem Ziel Sie kaufen. Wenn Sie Kunst haben wollen, um Ihre Freunde zu beeindrucken, dann kaufen Sie den angesagtesten Künstler aus Berlin oder New York oder London, den Sie sich leisten können, und überlegen Sie sich irgendeine Geschichte, die Sie Ihren Freunden dazu erzählen können. Aber wenn Sie wirklich in Kunst investieren wollen, sollten Sie bereit sein, eine halbe Millionen Euro für ein kleines, gestreutes Portfolio anzulegen.
Wie kann man sich als Sammler am besten über Markt und Künstler informieren?
Experten, Experten, Experten! Reden Sie mit Galeristen in großen Städten, lassen Sie sich die Künstler und Werke erläutern. Studieren Sie die Infobriefe der Kunstabteilungen von Banken. Suchen Sie sich einen Händler aus, der den Ruf hat, seine Künstler erfolgreich zu fördern. Konzentrieren Sie sich auf Werke von jungen Künstlern, bei denen die Aussicht auf Wertsteigerung am größten ist.
Also einfach gefragt: Können Sie das Sammeln von Kunst empfehlen?
Wenn Sie ein Kunstwerk nur zum Vergnügen kaufen wollen, leihen Sie es sich aus, hängen Sie es ein paar Wochen zu Hause an die Wand und schauen Sie, ob es Ihnen dann noch gefällt. Wenn ein Kunstwerk Sie im Innersten berührt und Sie es morgens beim Aufstehen sehen wollen – dann können Sie es ruhig kaufen.
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Frühjahr 2007 Das Auktionshaus Sotheby’s versteigert Hirsts Werk Lullaby Spring für rund 14,5 Millionen Euro: der höchste Preis, der bis dahin für das Werk eines lebenden Künstlers erzielt wurde. Mit geschätzt einer Milliarde Dollar Besitz gilt Hirst als reichster Künstler der Welt.
Sommer 2007 Hirst präsentiert in London den diamantenbesetzten Platinabguss eines Totenschädels. Das Werk mit dem Titel For the Love of God wird im August für 75 Millionen Euro verkauft.
Frühjahr 2008 Das Unternehmen Artprice, das den Marktwert von Künstlern berechnet, teilt mit, dass die Preise von Hirsts Werken sich seit 2006 um 95,34 Prozent gesteigert haben.
September 2008 Bilder, Skulpturen, Objekte: Hirst versteigert seine komplette Jahresproduktion bei Sotheby’s – und erzielt 140 Millionen Euro. Er bezeichnet die Auktion als "Performance".
Ende 2008 Die "Performance" war eins zu viel: Laut der Agentur Artprice brechen die Preise für Hirst-Werke jetzt um 34 Prozent ein. Im Frühjahr 2009 geben sie dann noch mal um gut 17 Prozent nach.
Mitte Oktober 2009 Auf der jährlich vom Magazin Art Review erstellten "art power list" der einflussreichsten Personen im Kunstbetrieb rutscht Hirst von Platz eins auf Platz 48.
Ende Oktober 2009 Hirst präsentiert Totenkopf- und Schmetterlingsgemälde in London. Die Wände der Ausstellungsräume lässt er für 250 000 Pfund mit Seidentapeten bespannen – auf eigene Kosten. The Independent schreibt: "Sind Hirsts Bilder gut? Nein, sie sind es nicht mal wert, dass man sie anschaut."
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Der kanadische Wirtschaftswissenschaftler Don Thompson beschäftigt sich seit Jahren mit den ökonomischen Seiten des Kunstmarkts. In dem großartigen Buch "The $ 12 Million Stuffed Shark" (Aurum Press) zeigt er, wie Auktionshäuser Preise steuern, wie Galeristen Künstler zu Stars aufbauen und worin der "Midas Touch" des Sammlers Charles Saatchi besteht.
Fotos: afp, ap