Hätte Jada Fitch eine bessere Kamera besessen, wäre sie vielleicht nie auf die Idee ihres Lebens gekommen. Fitch ist Künstlerin, ihr Spezialgebiet sind detailreiche Zeichnungen von Wildtieren, sie illustriert Bücher und verkauft Poster. Besonders gern malt sie die Singvögel ihrer Umgebung in Maine am nordöstlichen Zipfel der USA. Schwarzkopfmeisen, Goldfinken, Kron-Waldsänger. Das Problem: Die nervösen Vögel sitzen ungern Modell. Was tun? Fitch legte sich mit der Kamera auf die Lauer, um die Tiere zu fotografieren und dann abzuzeichnen. Doch ehe sie einem der Vögel nahe genug kam, war der aufgeschreckt weggeflogen.
Also entwarf Fitch kleine Vogelhäuser. Mit ihnen wollte sie die Tiere anlocken und so lange beschäftigen, bis sie sie fotografiert hatte. Dafür baute sie aus Karton so etwas wie Guckkästen, die vorne offen waren und die sie mit Klebeband an ihrem Atelierfenster befestigte. Darin fanden die Vögel Unterschlupf – direkt vor ihren Augen. Fitch streute in den Häusern Futter aus, vor allem Sonnenblumenkerne. »Ich wollte, dass die Vögel sich wohlfühlen«, sagt sie. Und so fing sie auch noch an, die Vogelhäuser so einzurichten, wie es den Tieren ihrer Meinung nach gefallen müsste: bunt, gemütlich, mit verschiedenen Plätzchen, an denen sich Futter finden lässt. In einem Spielzeugladen kaufte sie Puppenmöbel, an die Wände malte sie Bilder.
Vor zwei Jahren baute sie ihr erstes Vogelhaus, der Zierrat wurde immer liebevoller. Ein Haus bekam einen gemauerten Kamin aus Kieseln, in einem anderen lehnte ein kleiner Besen aus Reisig in der Ecke. Zu Halloween bastelte Fitch ein Haus im Stil eines Spukschlosses, samt kleiner ausgeschnittener Löcher, wie man sie aus Vergnügungsparks kennt, durch die die Vögel ihre Köpfchen stecken konnten und dann aussahen wie Vampire oder Gespenster. Jeder, der Jada Fitch im Atelier besuchte, war begeistert von den Häuschen und ihren Besuchern, die dort niedlich herumpickten und unter Puppensesseln so sorgsam und eifrig nach Sonnenblumenkernen suchten wie Menschen nach heruntergefallenen Süßigkeiten.
Ein Freund überredete Fitch dann vor rund einem Jahr, Bilder ihrer Kreationen ins Internet zu stellen. Es folgte ein Hype, Tausende Likes und Kommentare, fast immer verbunden mit der Frage: Wo kriegt man die Dinger? Zusammen mit ihrem Mann Philip fing Jada Fitch vor einem Jahr an, Vogelhäuser zum Verkauf herzustellen. Statt Karton verwenden die beiden wetterfestes Holz, jedes Stück wird handgefertigt. Er kann gut mit Holz umgehen, also sägt er die Formen und baut die Häuser zusammen, sie malt jedes Einzelne an. Ein Haus kostet etwa hundert Euro, mehrere Hundert haben sie schon hergestellt und verkauft.
Dabei hat das Paar viel über die Vorlieben der Vögel gelernt: Runde Eingangstüren mögen die Tiere lieber als eckige. Am wohlsten fühlen sie sich, wenn vor der Tür eine Veranda angebracht wird, auf der sie sich niederlassen und erst mal in die Wohnstube hineinlinsen können.
Seit Jada Fitch jeden Tag bei der Arbeit in ein Vogelhaus blickt, hat sich ihre Beziehung zu den Tieren verändert. Sie ist Mitglied im örtlichen Ornithologenverein geworden und hilft regelmäßig bei Vogelzählungen. »Außerdem kann ich ohne die Tiere in meiner Nähe gar nicht mehr arbeiten«, sagt sie. Manche Vögel kommen regelmäßig, sie sind wie Haustiere. Einmal rettete sich ein Kleiber mit offenbar gebrochenem Bein in eines ihrer Vogelhäuser. Doch helfen lassen wollte er sich nicht: Tapfer flog der Vogel jeden Tag herum. Bald kam er in Begleitung anderer Kleiber. Anfangs humpelte er noch, aber irgendwann war er nicht mehr von den anderen Vögeln zu unterscheiden. »Ich bin mir aber sicher, dass er noch öfter wiederkommt«, sagt Fitch. Dass er irgendwo ein schöneres Vogelhaus gefunden hat, halte sie nämlich für eher unwahrscheinlich.
Fotos: Scott M. Brauer