In Rauch auf­gelöst

Zigarren aus Kuba sind ein beliebtes männliches Statussymbol. Doch in Deutschland sind sie kaum mehr zu bekommen. Das hat auch mit dem Klimawandel zu tun.

Kleingepäck: Für eine einzelne Cohiba Espléndidos zahlt man mittlerweile 90 Euro.

Foto: Tom Parker

Zigarrenraucher sind umsichtige Menschen, sie kaufen auf Vorrat. John F. Kennedy ließ sich 1962 einige Stunden, bevor er ein Importverbot für die USA in Kraft setzen ließ, gleich 1000 Zigarren besorgen. Sie werden ja nicht schlecht. Richtig gelagert, im Humidor mit korrekter Luftfeuchtigkeit, sogar besser, wie guter Wein. Alte Zigarren können im Wert steigen.

Karl Seckel führt einen kleinen Tabak- und Zeitschriftenladen im schnieken Münchner Stadtteil Bogenhausen. Zu gern würde er wie in den vergangenen 17 Jahren einen Vorrat für sich und seine Kundschaft halten, für schlechte Zeiten, aber die sind längst miserabel: Drei Kisten Partagás mit jeweils zehn Stück ist alles, was Seckel im August zugeteilt bekam, das ist etwa ein Zehntel der Menge, die er vor der Corona-Pandemie regelmäßig bestellt und auch erhalten hatte. Die drei Kisten wurden noch am selben Tag von einem einzigen Kunden aufgekauft.

Partagás ist eine der günstigeren Marken aus Kuba, im Format Mille Fleurs kostet sie derzeit 7,10 Euro pro Zigarre. Das ist teurer als vergleichbare Zigarren aus Nicaragua, Honduras oder der Dominikanischen Republik, aber günstiger als eine Montechristo, Trinidad oder Cohiba. Die Cohiba war die Lieblingszigarre von Fidel Castro. Ihre Tabakblätter werden gleich dreimal fermentiert, und das in Eichenfässern. Für eine einzelne Cohiba Espléndidos zahlt man mittlerweile 90 Euro, für eine Cohiba Behike 120 Euro. Wenn man sie denn kriegt.

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Kubanische Zigarren werden nicht frei gehandelt. Es gibt ein kubanisches Staatsunternehmen namens Habanos, das die Zigarren an seine Generalimporteure in aller Welt nach Gutdünken verteilt. Der offizielle Alleinimporteur für Deutschland, Österreich und Polen heißt 5th Avenue, dessen Vertreter reisen inzwischen wie der Nikolaus durch die Lande, als ob sie milde Gaben verteilten.

Karl Seckel weiß nie, wann der Vertreter für den süddeutschen Raum liefert, auch nicht, wie viele und welche Marken. Gibt es nicht, heißt es meistens. Seckel bestellt nichts Konkretes mehr, er nimmt, was er haben kann. Seine Kunden bitten ihn inständig, sie anzurufen, sobald irgend­etwas hereinkommt. »Wer sich einmal an kubanische Zigarren gewöhnt hat, ist schwer davon abzubringen«, sagt Seckel.

Wie kommt es, dass die kubanischen Montechristos, Upmanns, Romeo y Juliettas und Hoyo de Montereys sich dermaßen rar machen?

Zigarren aus Kuba sind weltweit Mangelware geworden, nicht nur in Deutschland. Seit drei Jahren ist das nun schon so. Und keine Besserung in Sicht. Große Zigarrengeschäfte werden in Deutschland vom Generalimporteur bevorzugt und bekommen etwas größere Mengen zugesprochen, aber auch sie beklagen den Mangel. Sobald Ware eintrifft, ist sie gleich wieder weg, die Kundschaft in München oder Berlin kauft jetzt mehr denn je auf Vorrat. In die Jahre gekommene Männer fürchten da um ihr extravagantes Laster, auch wenn es in Tabakläden heißt, dass sich inzwischen vermehrt Frauen und jüngere Männer für Zigarren begeistern. In den Corona-Lockdowns wurde nachweislich so viel geraucht wie lange nicht mehr in Deutschland. Vor allem Zigarren. Nur eben nicht die aus Kuba.

Keine Zigarre hat annähernd so viel Strahlkraft wie eine mit Banderole von Habanos. Kennedys USA-Importverbot trug entscheidend zum Nimbus dieses Statussymbols bei. Das Verbot gilt bis heute – und hat zur Folge, dass in keinem anderen Land mehr gefälschte Zigarren verkauft werden als in den USA.

Auch in Europa galt die Konkurrenz zu kubanischen Zigarren lange nicht viel, man nahm sie kaum wahr. Das ist erst einmal vorbei. Wie kommt es, dass die kubanischen Montechristos, Upmanns, Romeo y Juliettas und Hoyo de Montereys sich dermaßen rar machen? Dass eines der wirkmächtigsten Statussymbole der Gentleman­haftigkeit fast verschwunden ist?

Vor allem sei die große Nachfrage aus China schuld, sagen Karl Seckel und viele seiner Kolleginnen und Kollegen in München und Berlin. Die Reihenfolge der Top-Habanos-Abnehmerländer lautet derzeit: Spanien, China, Deutschland, Frankreich, Schweiz. Schon vor der Pandemie kauften die Menschen in China immer mehr ­Zigarren. Christoph Puszkar, Marketing-Chef von 5th Avenue, hat etliche Geschichten von chinesischen Zwischenhändlern gehört, die mit Rucksäcken kamen und kistenweise in deutschen Zigarrenläden einkauften, zum hiesigen Ladenpreis – in China ließen sich kubanische Zigarren teurer weiterverkaufen. 2020 kaufte sich ein Investor aus Hongkong beim kubanischen Staatsunternehmen Habanos ein, seitdem erhält China eine deutlich höhere Quote an der Produktion. 2022 wurden die Preise in Europa denen in China angeglichen, ­einige Formate, insbesondere verschiedene Cohiba-Größen, kosten in Deutschland jetzt doppelt so viel wie zuvor.

Aber es liegt nicht nur an der Nachfrage in China. Während der Corona-Lockdowns wurde die Produktion von Zigarren in Kuba teilweise ganz eingestellt. Später fanden wegen der Abstandsregeln dann in eng besetzten Fabriksälen weniger Arbeiter Platz, die Container erreichten Europa nur mit Verspätung.

Auch das Klima wurde zum Problem. 2020 gab es 30 Hurrikans über diesem Teil des Atlantiks, zwei mehr als im Jahr 2005, das bis dahin den Hurrikan-Rekord gehalten hatte. Die Plantagen, die Hütten zum Trocknen der Blätter und die Fabriken nahmen Schaden. Die Ernte des Jahres 2021 fiel um zwanzig Prozent kleiner aus als die des Vorjahres, was die Produktion des Jahres 2022 verringerte. Der Hurrikan »Ian« traf im September 2022 das Hauptanbaugebiet im Tal von Pinar del Rio, dieser Ernteausfall wird sich erst Ende des Jahres auf dem Markt bemerkbar machen. Das Angebot wird also noch dünner werden.

Schließlich die Mangelwirtschaft auf Kuba, die Armut. Die Plantagen haben kaum Düngemittel und Pestizide, um die Ernte zu schützen. Die Busse kaum Benzin, um die Arbeiter zur Fabrik zu bringen, die Fabriken kaum Papier für die Banderolen, kaum Aluminium für die Hülsen, so gut wie keine Devisen für die Holzkisten, die in den Niederlanden hergestellt werden. Junge Leute fliehen von der Insel, auch erfahrene Tabakroller, der Nachwuchs muss erst angelernt werden, wenn er überhaupt zu finden ist. Die Wirtschaftskrise des mit Kuba verbündeten Staates Venezuela hatte zur Folge, dass Kuba keine verbilligten Öllieferungen mehr bekam. Zudem geben Vertreter des Staatsunternehmens Habanos auch Joe Biden die Schuld: Der US-Präsident hat die Handelsbeschränkungen nicht wieder aufgehoben, die sein Vorgänger Donald Trump verhängt hatte. Offenbar aus Sorge, bei der nächsten Wahl die Stimmen der vielen Exil-Kubaner in Miami zu riskieren.

Viele Kreuzfahrtschiffe halten nicht mehr in Havana, der Tourismus ist eingebrochen – Zigarren sind der letzte große Devisenbringer

Im Frühjahr 2023 fand erstmals nach Corona wieder das Habanos-Festival statt, zu dem traditionell rund 2000 Händler, Liebhaber und Journalisten kommen. Und zum ersten Mal seit Fidel Castro war mit Miguel Díaz-Canel wieder ein Staatspräsident beim Festival anwesend. Das unterstreicht die Bedeutung, die der Staat seinem Exportschlager jetzt beimisst. Viele Kreuzfahrtschiffe machen nicht mehr Halt in Havanna, der Tourismus ist als Haupteinnahmequelle eingebrochen – die Zigarren sind der letzte große Devisenbringer. Der Absatz des vergangenen Jahres wurde nicht veröffentlicht, das hatte es zuvor nie gegeben. Die Einnahmen sind wegen der Preiserhöhungen leicht gestiegen, Produktion und Absatz aber mutmaßlich stark gesunken.

Christoph Puszkar, der Manager von 5th Avenue, sieht im Klimawandel das hartnäckigste Problem für Kubas Nationalprodukt. »Tropenstürme spülen immer häufiger junge Tabakpflanzen fort. Setzt man neue, fehlt ihnen Zeit, in einem Maß heranzuwachsen, dass sich ihre Blätter zur Herstellung großer Zigarrenformate eignen.« Mitunter passieren jetzt Zigarren die Qualitätskontrolle, die aus zu jungen Tabakblättern gedreht werden, sich schlecht rollen lassen und nicht gut ziehen und schmecken. Das gilt besonders für lange oder dicke Cohiba-Formate.

Karl Seckel, der Münchner Tabakladen-Inhaber, rät seinen Kunden inzwischen zu sogenannten Neue-Welt-Zigarren: zum Beispiel VegaFina Nicaragua Short für 4,40 Euro, die raucht er jetzt selbst. Schmeckt ihm fast genauso gut, macht allerdings nicht so viel her.