»Auf meinen Namen war ich immer stolz«

Wie fühlt es sich an, wenn man heißt wie eine berühmte Figur der Literaturgeschichte? Ein Treffen mit Felix Krull, Wilhelm Meister und Katharina Blum.

Drei Helden unter einem Dach: Felix Krull muss sich unter ungeklärten Umständen das Penthouse gesichert haben.

Frau Blum, Herr Krull, Herr Meister: Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie bemerkt haben, dass Sie einen besonderen Namen tragen?
Felix Krull: Für mich war der Name lange Zeit nichts Besonderes. Mein Vater hieß auch Felix Krull, und der wurde 1894 geboren, lange bevor Thomas Mann den Roman geschrieben hat. Aber in der Schule fiel ich auf. Ich muss 13 oder 14 Jahre gewesen sein, als mich mein Deutschlehrer angesprochen hat.

Was hat er gesagt?
Krull: »Du bist also Felix Krull, da müssen wir aber aufpassen, dass alles mit rechten Dingen zugeht.«
Katharina Blum: Bei mir war es so, dass ein Klassenkamerad das Buch in der Schulbibliothek entdeckt, das Cover kopiert und im Flur aufgehängt hat, allerdings mit einer leichten Änderung: Statt Die verlorene Ehre der Katharina Blum stand da Der verlorene Erich der Katharina Blum. Erich war ein Klassenkamerad, der sich in mich verliebt hatte. Später haben wir das Buch dann im Unterricht gelesen. Es war für die meisten Pflichtlektüre.
Wilhelm Meister: Ich war in der fünften Klasse, als mein Musiklehrer zu mir sagte: »Wilhelm, weißt du eigentlich, dass es von Goethe ein Buch gibt, das deinen Namen im Titel hat?« Ich hatte noch nie davon gehört, meine Eltern auch nicht. Ich glaube, dass die wenigsten das Buch kennen.

Haben Sie es inzwischen gelesen?

Meister: Ehrlich gesagt, nein, ich bin keine große Leseratte. Mein letztes Buch ist zwei Jahre her, aber ich habe mir vor unserem Gespräch die Zusammenfassung bei Wikipedia angeschaut und ein bisschen reingelesen.

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Und?
Meister:
Ich habe mich schwer getan mit dem altertümlichen Deutsch, manche Wörter habe ich gar nicht verstanden. Und dünn ist das Buch auch nicht gerade, es hat bestimmt 400 Seiten, oder?

Eher 700. Und das sind nur Wilhelm Meisters Lehrjahre, es gibt auch noch die Wanderjahre.
Meister:
Trotzdem stehen die Bücher ab jetzt auf meiner To-do-Liste, es gibt nämlich durchaus Parallelen: Felix, Wilhelms Sohn, ist drei Jahre alt, meine Tochter auch. Und Wilhelm war viel unterwegs. Ich reise auch dauernd.
Krull: Ich habe 1957 zuerst den Film gesehen, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, mit Horst Buchholz und Liselotte Pulver. Ich war 15, der Film aber erst ab 16, also bin ich mit meinem Vater ins Kino gegangen. Und als die erotischen Szenen kamen, habe ich mir schon gedacht: Das muss ich mal im Original nachlesen.

Felix Krull ist ein charmanter Blender. Wollten Sie nach der Lektüre so werden wie die Romanfigur?
Krull: Die Lebensweise von Felix Krull ist nicht die korrekte, aber eine von vielen. Trotzdem habe ich mir vorgenommen, mich nicht so durchzuschlängeln, sondern aufrecht durchs Leben zu gehen. Ich wollte nie dünne Bretter bohren, sondern durch Leistung überzeugen.

Wilhelm Meister, geboren 1985, lebt in Düsseldorf und studiert Kommunikations- und Multimediamanagement. Wie sein literarischer Namensvetter ist er viel gereist, unter anderem quer durch Australien und Afrika. Goethes »Wilhelm Meisters Lehrjahre«, 1795 erschienen, gilt als erster großer Bildungsroman der Literaturgeschichte.

Im Zuge der Plagiatsaffäre wurde Karl-Theodor zu Guttenberg mehrfach mit Felix Krull verglichen. »Die Bundeswehr darf nicht mehr von einem Felix Krull kommandiert werden«, forderte Jürgen Trittin im Bundestag.
Krull: Beide Helden ähneln sich, da sie sich selbst überschätzen und ihre Mitmenschen unterschätzen. Bei Guttenberg ist das wohl teilweise Ausdruck eines immanenten Standesdünkels. Beide vertrauen auf ihre Beredsamkeit und ihr Charisma, sind aber oberflächliche Blender mit wenig Tiefgang.

Heinrich Bölls Roman kam 1974 heraus. Sie, Frau Blum, sind 1984 geboren. Kannten Ihre Eltern das Buch?
Blum: Ja, aber das muss nichts heißen, Katharina war damals ein Modename. Obwohl – meine Eltern haben gegen Atomkraft demonstriert, waren bei der Demo gegen den Nato-Doppelbeschluss 1981 in Bonn dabei – mein Vater erzählt noch heute, wie begeistert er von Bölls Rede war. Mein Vater trug damals lange Haare und Vollbart, bei Kontrollen wurde er regelmäßig rausgezogen. Schon möglich, dass er das Buch im Kopf hatte, als es darum ging, einen Namen für mich zu finden.

Die Tochter als Waffe gegen das Establishment?
Blum: Die Frage habe ich ihm vor ein paar Tagen auch gestellt. Er meinte, deshalb habe er mich nicht Katharina genannt, aber reiner Zufall war es wohl auch nicht.

»Diese zweifelhaften Männerbekanntschaften, das wäre nicht mein Ding«

Felix Krull, 1942 in Südostpreußen geboren, war bis 2008 Professor für Mechatronik (Feinmechanik) in Kiel. Thomas Manns »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull« ist eine Parodie auf den klassischen Bildungsroman. Berühmt wurde auch die Verfilmung mit Horst Buchholz und Liselotte Pulver.

»Die Gewalt von Worten kann schlimmer sein als die von Ohrfeigen und Pistolen«, sagt Böll, der mit Die verlorene Ehre der Katharina Blum eine Kampfschrift gegen die Methoden der Bild-Zeitung verfasst hat. Sie sind selbst Sportjournalistin. Haben Sie schon mal überlegt, sich bei der Bild zu bewerben?
Blum: Bisher nicht, aber vielleicht ja in ein paar Monaten, wenn mein Volontariat vorbei ist. Natürlich finde ich nicht alles gut an Bild, es gibt aber auch Dinge, die ich bewundere, zum Beispiel die Kreativität der Leute dort; aber Zitate fälschen, wie der Journalist im Roman, das würde ich nie im Leben.

Glauben Sie, dass Sie eine Chance hätten, für den Springer-Verlag zu arbeiten?
Blum: Die Frage ist, wie bekannt der Name dort ist.

Sehr bekannt.
Blum: Aber bei wie vielen Lesern würde er wirklich eine Erinnerung auslösen? Das Buch kennen doch von Jahr zu Jahr immer weniger Menschen. Pflichtlektüre ist es auch nicht mehr.

Es könnte also schon der Fall eintreten, dass Sie in Kürze ein Schreiben aufsetzen: »Sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Katharina Blum, ich würde gern für die Bild-Zeitung arbeiten…«
Blum: Wenn ich kein anderes Angebot kriege, vielleicht. Ich weiß aber noch nicht, wie ich es meinem Vater sagen würde. Er rührt die Bild bis heute nicht an. Eine Bewerbung bei der Sport-Bild würde er aber akzeptieren.

Haben Sie Ihre Namen bislang eher als Hypothek oder als Vorteil empfunden?

Krull: Er hat auf jeden Fall immer eine Rolle gespielt. Auch an der Hochschule wurde ich manchmal der Schummelei bezichtigt, aus Spaß natürlich.

Und als Sie selbst Professor für Mechatronik waren …
… wollte sich der eine oder andere Student mit Anspielungen durch die Prüfung schlängeln. Die haben dann augenzwinkernd Sachen gesagt wie: »Aber Herr Krull, jetzt mal ehrlich, Sie haben sich Ihre Dissertation doch auch erschlichen.«
Meister: Mich hat neulich ein Dozent angesprochen, der ehemalige Geschäftsführer des Düsseldorfer Industrie-Clubs: »Wilhelm Meister«, sagte er, »das ist aber ein toller Name.« Der fand mich gleich sympathisch. Geholfen hat es nicht. Durch die Klausur bin ich trotzdem gerasselt.
Blum: Ich habe für die Zeitung mal ein Interview mit einem Mentalcoach für Prominente angefragt. Zuerst hat er abgesagt, aber dann fand er meinen Namen so interessant, dass er doch mitgemacht hat.
Meister: Ich versuche meinen Namen gerade als Marke aufzubauen – das hat vielleicht damit zu tun, dass ich Kommunikations- und Multimediamanagement studiere. Zum Beispiel versuche ich, bei Google möglichst weit vorn zu stehen, wenn man nach »Wilhelm Meister« sucht.
Stimmt, schon der dritte Link führt auf Ihre Homepage. Beeindruckend, wenn man überlegt, dass Sie mit einem der wichtigsten Romane der Weltliteratur konkurrieren.

Meister: Ja, man muss es schaffen, dass möglichst viele relevante Websites auf die eigene Homepage verweisen. Da gibt es ein paar Tricks, zum Beispiel kann man Links einkaufen. Ich war mal für 48 Stunden auf Platz eins. Dann wurde ich von Goethe wieder überholt.

Sind Sie stolz, nach einer berühmten literarischen Figur benannt zu sein?

Krull: Auf meinen Namen war ich immer sehr stolz, weil ich Thomas Mann außerordentlich schätze. Ich habe meinen Sohn auch so genannt, und der seinen Sohn ebenfalls. Wir heißen jetzt in der vierten Generation »Felix Krull«. Meister: Früher habe ich mich für meinen altertümlichen Namen geschämt, in der Schule wurde ich sogar gehänselt, inzwischen bin ich stolz auf meinen Namen, er ist etwas Besonderes.

Finden Sie Ihre Namensvettern aus den Büchern sympathisch?

Blum: Ich finde es beeindruckend, wie hartnäckig Katharina um ihr Recht kämpft, aber diese zweifelhaften Männerbekanntschaften, das wäre nicht mein Ding.
Krull: Also mir ist Felix sehr sympathisch. Wie er die Schwächen der anderen erkennt und ausnützt, das ist schon faszinierend.

Vorhin haben Sie gesagt, dass Sie ihn als abschreckendes Beispiel empfunden haben.
Krull: Das eine schließt das andere ja nicht aus. Ich finde es interessant, dass es Menschen gibt, die mit so einer Leichtigkeit durchs Leben gehen können. Ich kann das nicht. Ich habe es mir immer schwer gemacht und dreißig Jahre lang oft achtzig Stunden pro Woche gearbeitet.

Eine der berühmtesten Szenen im Roman ist der gespielte Epilepsieanfall Krulls vor der Militärkommission, der zur Ausmusterung führt. Waren Sie bei der Bundeswehr?
Krull: Nein, war ich nicht. Ich war nicht tauglich.

Warum?
Krull: Nicht, was Sie jetzt denken. Der Jahrgang 1942 war stark besetzt, da wurde man schnell ausgemustert. Ich hatte wegen einer Verbrennung Narben auf der Brust, das hat gereicht.

»Die verlorene Ehre der Katharina Gnatzig«

Katharina Blum, geboren 1984 in Hannover, ist Journalistin und macht derzeit ein Volontariat beim »Münchner Merkur«. Heinrich Bölls Erzählung »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« aus dem Jahr 1974 ist ein Pamphlet gegen die menschenverachtende Berichterstattung der Springer-Presse.

Herr Meister, ein berühmtes Zitat aus Wilhelm Meisters Lehrjahre lautet: »Mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch.«
Meister:
Das ist auch mein Motto. Sachen packen und los, das ist das beste Studium, das es gibt. Ich bin mit 22 für ein Jahr nach Australien. Dort habe ich im Internet ein Video von einem Typen entdeckt, der sich in Afrika ein Auto kauft und quer durch den Kontinent fährt. Also bin ich nach Kapstadt geflogen, habe mir einen Wagen besorgt und bin Richtung Norden gefahren, ohne Ziel und ohne Plan.

Eigentlich eine zeitgemäße Form der Bildungsreise. Wie hat Sie diese Zeit verändert?
Meister: Ich habe entdeckt, was auf dieser Welt alles möglich ist, und wenn es nur eine Geschäftsidee ist – dass da einer an der Ecke steht und Waffeln verkauft.

Noch ein Zitat aus dem Roman: »Bekanntschaften, wenn sie sich auch gleichgültig ankündigen, haben oft die wichtigsten Folgen.« Haben Sie unterwegs Menschen kennengelernt, die Sie geprägt haben?
Meister: Gerade übernachte ich bei einem Freund, den ich aus Australien kenne. Der dreht auch Videos, gestern haben wir was zusammen gemacht, und so hat die Sache auch einen finanziellen Vorteil für mich. Und Frauenbekanntschaften – na ja, der Wilhelm aus dem Roman war ein ziemlicher Womanizer, oder?
Krull: Felix Krull übrigens auch.
Meister: Ich habe mich zurückgehalten. Ich bin seit acht Jahren mit meiner Freundin zusammen, wir haben eine gemeinsame Tochter.
Krull: Stört es Ihre Freundin nicht, Herr Meister, dass Sie nicht verheiratet sind? Sie sehen blendend aus, sicher sind Sie ein Frauenschwarm.
Meister: Sie hat schon mal angedeutet, dass sie ganz gern heiraten würde.
Blum: Würden Sie dann Ihren schönen Namen abgeben und den Ihrer Freundin annehmen?
Meister: Sicher nicht.

Was würden Sie tun, Frau Blum, wenn Ihr Freund Sie um Ihre Hand bitten würde?
Blum: Schwierig, irgendwie hänge ich doch an meinem Namen. Leider ist der Vater meines Freundes Ahnenforscher, ich glaube, der würde es nicht ertragen, wenn mein Freund meinen Namen annehmen würde.

Wie heißt Ihr Freund mit Nachnamen?
Blum: Gnatzig.

Gnatzig?
Blum: Ich weiß. Nicht so schön.

Die verlorene Ehre der Katharina Gnatzig.
Blum: Früher hat mich mein Name genervt, wegen der vielen Fragen, »Kennst du das Buch?« und so weiter. Ich konnte auch lange keine E-Mail-Adresse finden. Alles mit »Katharina Blum« war schon weg. Ich bin dann bei Arcor gelandet, da war noch was frei.

Wilhelm Meister, welche Mailadresse haben Sie?
Meister: mail@wilhelmmeister.de. Ist leicht zu merken.

Die Adresse war noch frei?
Meister: Das hat mich auch gewundert, www.wilhelmmeister.com gab es auch noch, ich habe mir beide Adressen gesichert. Die gehören jetzt mir.
Krull: Ich hatte nie ein Problem mit der E-Mail-Adresse. Aber soweit ich weiß, sind wir auch die einzigen Felix Krulls in Deutschland. Es gibt zwar noch einen Rapper, der sich Felix Krull nennt, aber das ist sicher ein Künstlername.

Frau Blum, haben Sie auch so einen Hang zu kriminellen Abenteurern wie Bölls Katharina?

Blum: Weniger. Mein Freund hat Maschinenbau studiert und promoviert gerade.

Würden Sie wie Bölls Katharina Blum aus Liebe eine Straftat begehen?
Blum: Das kann ich mir schon vorstellen, aber bis zum Mord würde ich nicht gehen.

Aber bis zur Beherbergung und Beihilfe zur Flucht?
Das glaube ich schon. Wenn die Liebe sehr groß ist.

Also, wenn Herr Gnatzig plötzlich fliehen müsste, weil er seine Promotion durch Betrug erworben hätte …
Blum: Das würde er nie tun. Das passt nicht zu ihm.

Gibt es eigentlich eine literarische Figur, nach der Sie lieber benannt wären?
Krull: Also, ich bin mit meinem Namen zufrieden.
Meister: Lucky Luke. Habe ich als Kind immer gelesen. Ein cooler Typ, außerdem hat er die gleiche Tolle wie ich.
Blum: Pippi Langstrumpf vielleicht. Die hat auch viele Abenteuer erlebt, aber wenigstens lustige.

Fotos: action press(1), privat