Neulich ging ein Polizeifoto von David Cassidy durch das Netz: ein 63-jähriger aufgedunsener Mann mit alkoholschweren Lidern unter botoxstrammer Stirn. Vor vierzig Jahren war er ein Teeniestar, weltberühmt durch die Fernsehserie über die singende Partridge Family, kommerziell erfolgreicher als Elvis, Paul McCartney und Elton John. Dann das Übliche: Absturz, Comeback-Versuche, Geldverlust durch Immobilienspekulationen, Tourneen mit den alten Hits. Was man halt so macht, wenn man mal wer war und jetzt nicht mehr. Die jüngste Festnahme war nicht seine erste, Verhaftungsgrund war stets Alkohol am Steuer. Dass die Kaution zuletzt bei lächerlichen 2500 Dollar lag, sagt alles über dieses traurige Leben.
Fast zeitgleich kursierte ein altes Highschool-Foto von George Clooney, das wir auch als Cover dieser Ausgabe gewählt haben: ein knollennasiger Junge mit Nerd-Brille, Topfschnitt und einem weißen Polyester-Rolli. Das Bild muss ungefähr in jenen Jahren entstanden sein, als der Bravo-Starschnitt von David Cassidy - dem hübschesten Jungen der Welt, und das trotz Mittelscheitel - in allen Mädchenzimmern gleich links neben den Pferdepostern hing. Vergleicht man die Bilder von damals, die Mittelscheitel-Schönheit mit dem Topfschnitt-Tölpel, deutet nichts darauf hin, dass der eine den Höhepunkt seines Lebens schon überschritten hatte und der andere jemals einen Höhepunkt erleben würde.
Dass einige früher ihren Zenit erreichen und andere später, ist nichts Neues. Und man muss nicht mal das Drama des abgestürzten Kinderstars bemühen, um zu verstehen: Ein jegliches hat seine Zeit und ein jeglicher erst recht. Besonders offensichtlich wird das, wenn man Gleichaltrige mit ähnlicher Karriere vergleicht, beispielsweise Clooney und seine Zeitgenossen Brad Pitt und Johnny Depp. Während die beiden ewigen Jungs, inzwischen 49 und 50, mit ihren Ziegenbärtchen, Wollmützchen und Armbändchen gefühlt längst ihr Verfallsdatum überschritten haben, hat das Leben für Clooney, 52, eigentlich erst in dem Moment begonnen, als er graue Haare bekam. Klar fand man ihn schon vor 15 Jahren als Kinderarzt in E.R. ganz nett - okay: sehr nett -, aber so richtig klasse wurde er als richtiger Mann. Mit perfekt geschnittenen Anzügen und perfekt geschnittener Selbstironie, mit einem politischen und sozialen Gewissen, mit der Einsicht, dass man hinter der Kamera würdevoller altert als davor und außerdem als Regisseur und Produzent eigene Themen setzen kann, statt nur die Worte anderer zu deklamieren.
Wenigen Männern gelingt es so wie ihm, in wirklich jeder Phase ihres Lebens interessant zu sein und aus einer Karriere mit traditionell beschränkter Haltbarkeit ein Lebenswerk zu machen - eigentlich fällt einem da nur Sean Connery ein. Auf hundert Boris Beckers, die als 17-jährige Welpen mit blassen Knien zu globalen Helden wurden und später in Peinlichkeit verglühten, kommt höchstens ein Franz Beckenbauer, den man mit seinem Wechsel zu Cosmos New York schon abgemeldet hatte, 13 lange Jahre vor seiner Lichtgestalt-und-einsam-übers-Spielfeld-gehen-Ära. Wer hätte 1977 gedacht, dass er dieses scheinbar längst verlorene Spiel noch einmal herumreißen würde?
Von diesen raren Ausnahmen abgesehen scheint die Regel zu lauten: Jeder Mann hat sein persönliches perfektes Alter. (Von den Frauen wollen wir an dieser Stelle lieber nicht anfangen, das ist eine andere, viel kompliziertere Geschichte.) Jeder Mann hat ein Alter, in dem er ganz er selbst ist und ganz bei sich, im Vollbesitz seiner Kräfte und Talente und vielleicht sogar - wenn man pathetisch wäre und an derlei glauben würde - angekommen in Moment seiner wahren Bestimmung. Das kann mit 17 sein wie Becker nach seinem ersten Wimbledon-Sieg oder mit weit über achtzig wie Konrad Adenauer, der 73-jährig zum Bundeskanzler gewählt wurde und dann 14 lange Jahre im Amt blieb. Selbst in einer Zeit, in der das Alter egal geworden zu sein scheint, weil plötzlich so viele Lebensentwürfe zu so verwirrend vielen Zeitpunkten möglich sind wie nie - man kann mit siebzig Vater werden und mit 23 Selfmade-Milliardär wie Mark Zuckerberg -, hat man bei den meisten Männern das untrügliche Gefühl des richtigen Reifegrads, des perfekten Aggregatzustands.
Der hat übrigens nichts mit dem perfekten Alter in biologischer Hinsicht zu tun, denn da gilt für alle gleichermaßen, dass es spätestens mit zwanzig bergab geht. Ab 15 Jahren sieht man schlechter, ab 25 sinkt der Testosteronspiegel, ab Mitte dreißig schrumpfen die Muskeln, ab 27 lässt das logische Denkvermögen nach, ab 37 die Erinnerungsfähigkeit. Und um es vollends deprimierend zu machen: Die Filterleistung der Nieren erreicht mit drei Jahren ihr Maximum. (Gern geschehen!)
Ebenso wenig geht es um die gesellschaftliche Vorstellung vom idealen Alter. Im März wurde eine amerikanische Umfrage veröffentlicht, laut der Männer ihr bestes Jahr mit 34 hätten, mit 43 anfingen zu altern und mit 59 alt seien (Frauen übrigens derselben Umfrage zufolge mit 55, überraschenderweise gar nicht so viel früher). Das liegt alles noch ganz nah an den klassischen Begriffen von Karriere- und Lebensplanung, laut denen bitte mit vierzig alles Relevante geschafft sein muss, das mittlere Management erreicht und eine angemessene Zahl von Kindern gezeugt sein sollten. Dass die Hochphase des Lebens heute aber nicht mehr in einem eng gesteckten Korridor zwischen dreißig und vierzig stattfindet, dass es auf vielen Gebieten sogar erst weit später richtig losgeht - viele Nobelpreisträger haben erst jenseits der vierzig ihre großen Entdeckungen gemacht -, ist einerseits tröstlich, denn das bedeutet ja: Da geht noch was, ich könnte noch als alter Sack zur Bestform auflaufen. Andererseits heißt es aber auch: Alter ist keine Schonzeit mehr, der gesellschaftliche Erwartungsdruck lässt nicht etwa mit sechzig nach. Wer meint, dann eine ruhige Kugel schieben zu können, dem werden die Beispiele Picasso, Rubinstein und Kant um die Ohren gehauen. Ach, waren das schöne Zeiten, als es noch einen Jugendkult gab.
Aber vielleicht ist die Idee des idealen Alters auch wieder nur eine unserer Leistungsgesellschaft, die messbaren, sichtbaren Erfolg für alles hält. Vielleicht fand Clooney ja sein Kaulquappenstadium im weißen Pulli die beste Zeit seines Lebens, vielleicht Konrad Adenauer das Alter, in dem er die Sojawurst erfand (41), die von innen beleuchtete Stopf- kugel (62) oder die Abdeckklappe für Gießkannentüllen (64). Gerade Menschen mit vielen Talenten und folglich mehreren möglichen Lebenswegen werden bei der Frage nach ihrem persönlichen besten Alter entmutigt oder entnervt abwinken und sich am Ende eine Mischung wünschen: den Körper von damals mit dem Hirn von heute und der erhofften Gelassenheit von morgen.
Fotos: Greg Miller