Zugegeben: Ich bin befangen. Meine Rasiercreme hat den vielleicht längsten Namen der Welt: »Close Shavers™ Squadron Ultimate Brushless Shave Cream. It’s a ›Hair Raizer™‹ Formula ›White Eagle‹«. Der etwas schiefe Name kann mit der Abbildung auf der Verpackung ansatzweise erklärt werden: Ein Einsatzflugzeug ist da zu sehen, das wohl Teil einer »Staffel« (Squadron) von Rasierprodukten ist und das Rasier-Manöver »White Eagle« fliegt, inklusive weicher Landung, wie der Untertitel verrät. Und, ach ja: Man braucht nicht mal einen Pinsel (Brushless Shave Cream). Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die holprige Metapher, was das Ergebnis anbelangt, aufgeht.
Was aber, bitte, verbirgt sich zum Beispiel hinter dem »Advanced Night Repair Synchronized Recovery Complex Serum« von Estée Lauder? Das Adjektiv »advanced« signalisiert konsumpsychologisches Kalkül. Jeder will schließlich etwas kaufen, was dem neuesten Stand der Technik entspricht. Dann betreten wir aber auch schon die mythische Zone der Nachtreparatur. Und sind bei einem der ältesten Träume der Menschheit: Wir legen uns schlafen, und Gutes geschieht ohne unser Zutun. Wie das Vokabelheftchen, das man sich unters Kissen legt, um am nächsten Morgen die Wörter zu können. Gewiss, eine Feuchtigkeitscreme kann, vor dem Zubettgehen aufgetragen, perfekt ihr Werk verrichten, weil wir nachts sanft der (Um-)Welt abhanden gekommen sind. Warum aber Serum? Der Begriff kommt aus dem Lateinischen, wo er Molke oder Samen meinte. Heute gebraucht man ihn für flüssige Heilmittel jeder Art. Es soll bedeutet werden, dass hier medizinische Erfolge zu erwarten sind. Auch der »synchronisierte Wiederherstellungskomplex« bedient sich des Wissenschaftsidioms des Chemielabors, wo man geheimen Formeln auf der Spur ist. Dabei können die Produkte immer mehr. Wenn nicht gleichzeitig, dann mindestens direkt hintereinander, wie etwa das »Active Phelityl Dual Phase Wash« von Erno Laszlo: die Gesichtswäsche als Parallelaktion zweier im Moment des Auftragens vereinigter Flüssigkeiten.
Es wird jetzt also bereits im Produktnamen alles verraten, was früher noch auf dem Waschzettel als Beschreibung versteckt war. Getreu dem Motto »what you read is what you get«. Was aber, wenn bei manchen Wörtern nicht einmal Google und Wikipedia weiterhelfen? »Vektorisierte Ceramide« – ist das zielgerichtete Keramik als Gesichtsmaske? Und würde man sich nicht lieber seinen Range Rover »Tourmaline charged« wünschen als die Abschminklotion im Bad? Wie viel Grundwissen aus der Chemie-Oberstufe muss man abrufbereit haben, um sicherzugehen, dass eine »3-Formen-Hyaluronsäure« nicht heimlich die Braue verätzt? Und wären nicht die eigenen Kinder nach der Grundschule besser im »Royal Lipidéum™« aufgehoben als die Gegend um die Augenfältchen? Muss es aufmerksamen Lesern nicht Sorge bereiten, dass in der Kosmetik inzwischen mehr Komplexe unterwegs sind als in allen Woody-Allen-Filmen zusammen? Wie unheimlich ist die Vorstellung von intelligenten außerirdischen Lebewesen noch, wenn schon in der Nachtcreme ein »Hydra-IQ« schlummert? Manchmal spielt man aber auch einfach nur Ikea und verändert vertraute Worte minimal, um ihnen einen neuen, eben »advanced« Sound zu verleihen: »Progressif« lesen wir dann, was eher nach französischen Hardcore-Rappern als einem lindernden Tonikum klingt. Oder »Post Epilatio«, da denken wir doch lieber gleich an die Zigarette danach als an die Folgen der Beinenthaarung.
Zum Glück gibt es aber auch unterhaltsame Beispiele, was die Sprache der Beauty-Industrie betrifft. Dior zum Beispiel bevorzugt den harten Rocksong und bietet die »Ready-to-wear Smoky Eyes-Palette« an. Man weiß wenigstens gleich, was gemeint ist. Ein Freund meinte neulich gar, dem »Sheer Tint Release Advanced Multi-Protection Anti-Oxidant Moisturizer SPF 15« von Estée Lauder sei die Poetik eines Haiku eingeschrieben. Und wie jeder Trend hat auch die neue Vielwörterei ihre minimalistische Gegenbewegung. Die »Blue Astringent Herbal Lotion«, mit der ich jede Rasur beende, ist seit 1964 einfach nur blaues Kräuterwasser. Am einfachsten aber machen es sich die schlauen Parfümeure von Malin + Goetz. Die sagen einfach nur, was es ist und wonach es riecht: »Peppermint Shampoo« oder, am besten von allem, Poesie pur: »Rum Bar Soap«. Cheers.
Gestaltet mit Kosmetik von Aveda, Burberry, Chanel, Estée Lauder, M.A.C., Shirelle
Foto: Joel Micah Miller/ Illustration: Daniel Wiesmann