Politische Putzkräfte

Wenn eine Frau es an die Macht schafft, ist sie angeblich eine »Trümmerfrau« – dieser Begriff wird ihr dann jedenfalls zuverlässig angeklebt. Wir möchten ihn hier verabschieden.

Das Klischee von den Trümmerfrauen gehört zu den Trümmern, die Frauen nur schwer aus dem Weg räumen können.

Es ist schon bemerkenswert, dass dann, wenn alles in Scherben liegt, Männer ranmüssen, um die Trümmer zusammenzukehren und zu kitten – als Trümmermänner. Kehren, kitten, schuften, aufbauen. Kann ein Mann das?

Diese Sätze klingen so merkwürdig, weil sie so niemals irgendwo stehen würden. Für das Kehren, Kitten, Schuften, Wiederaufbauen ist in Deutschland traditionell die Frau zuständig. Den Eindruck gewann man zuletzt wieder, als bekannt wurde, dass Andrea Nahles die Macht in der SPD übernehmen will. In jenen Tagen gab es kaum eine deutsche Zeitung, die sie nicht als »Trümmerfrau« bezeichnete. Auch die Süddeutsche Zeitung, aus der die obigen Zeilen – mit vertauschten Geschlechtern – stammen, beschrieb Nahles so.

Seit Frauen Wahlen gewinnen, ist der Begriff der Trümmerfrau ein fester Bestandteil der politischen Berichterstattung. Wie unsere Liste unten zeigt, mussten sich schon viele Frauen, die in Deutschland politisch etwas erreicht haben, früher oder später als Trümmerfrau beschimpfen lassen und damit als personelles Kehrblech, als Hausfrau der Nation: Angela Merkel, Andrea Nahles, Ursula von der Leyen, aber auch Hanne­lore Kraft, Katja Suding, Simone Peter – über alle Partei­grenzen hinweg schrubbt und wienert die po­litische Putzkolonne die Flecken weg, die ihr die Männer hinterlassen haben.

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Kann man auch Interpretationsmuster entsorgen? Wer soll in einem Land, das bis vor zwölf Jahren fast ausschließlich von Männern regiert wurde, vorher an der Macht gewesen sein? Ein Lama? Und übernehmen nicht auch nachfolgende Männer das Chaos von Männern? Trotzdem müssen sie sich nicht als politische Putzkräfte beschimpfen lassen.

Angela Merkel
»Merkel ist eine ›Trümmerfrau‹, die die Steine der bröselnden EU ein­sammelt, um Neues zu bauen.«
Der Tagesspiegel, 18. November 2016

Andrea Nahles
»Die Trümmerfrau – Andrea Nahles hat sich nicht ins Amt der SPD-­Partei­vor­sitzenden geputscht. Es gibt nur keinen anderen, der diesen Job will oder kann.«
Die Zeit, 15. Februar 2018

Ursula von der Leyen
»Doch die Trümmerfrau hat die Welt zu oft schöngeredet, als dass man ihr jetzt noch ­erhebliche ­Qualitätssprünge zutraut.«
Stuttgarter Zeitung, 21. Februar 2018

Annegret Kramp-­Karrenbauer
»Und für Annegret Kramp-­Karrenbauer, das kennen Frauen zur Genüge, bleibt die Rolle der Trümmerfrau.«
Frankfurter Allgemeine ­Zeitung, 12. August 2011

Merkel, Kramp-Karrenbauer, Heide Simonis, Hannelore Kraft
»Die vier sind, wenn man so will, ­politische Trümmerfrauen, die ihren ­Aufstieg mehr oder weniger der Tatsache verdanken, dass ihnen kein Mann im ­entschiedenen Moment ernsthaft die Jobs streitig machen wollte.«
Süddeutsche Zeitung, 10. August 2011

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
»Im Übrigen arbeitete sie als politische Trümmerfrau.«
Der Freitag, 22. Oktober 2009

Wolfgang Kubicki

»Wir sind jetzt die Trümmerfrauen der FDP.« (Über sich und Christian Lindner)
Der Standard, 7. Dezember 2013

Ordnung schaffen, das ist immer noch Aufgabe der Frauen. Das ist meistens nicht mal böse gemeint, oft sogar anerkennend. In die deutsche Geschichte eingegangen ist die Trümmerfrau schließlich als die personalisierte Wiederaufbauhilfe: Mit hochgekrempelten Ärmeln, das Kinn in Richtung Zukunft gereckt, schaufelte sie in Abwesenheit der Männer die Trümmer der Vergangenheit in ihre blechernen Eimer – der Zukunft, dem Wohlstand, dem Wirtschaftswunder entgegen. Auf sie konnte man stolz sein, jedenfalls auf jene, die nach getaner Arbeit dem Mann wieder das entrümpelte Feld überließen, um hinter dem Herd zu verschwinden.

Dass das alles so nicht stimmen kann, dürfte jedem klar sein, der einmal ein Bild der ausgebombten Stadt Köln gesehen hat. Historiker wie Leonie Treber haben die Trümmerfrau mittlerweile als Mythos entlarvt. Genauer: Die Trümmerfrauen, die zu Tausenden, ohne die Männer und im Schweiße ihres Angesichts, Deutschland wieder aufgebaut haben, gab es nicht. Es gab sie nicht in so großer Zahl, wie der Mythos glauben machen will, sondern ein paar hier und da, in Berlin und anderswo. Es waren in Wirklichkeit nicht nur Frauen, die Wiederaufbauhilfe geleis­tet haben. Und die Arbeit in den Trümmern war alles andere als ehrenvoll – denn schon während des Krieges war aufgeräumt worden, nur eben nicht freiwillig, sondern von Zwangsarbeitern.

Die Trümmerfrau ist eine Erfindung der Medien. Von den Männern, für die Männer. Damals wie heute. Nur verschwindet nun niemand mehr nach getaner Arbeit hinter dem Herd. Und das ist wohl der entscheidende Unterschied.

Die Trümmerfrauen von heute haben diesen Titel nicht nur nicht verdient, weil er ihnen Unrecht tut, sondern weil sie die Trümmer nicht nur wegräumen – sie produzieren auch selbst neue Trümmer. Ihre Zerstörungswut steht der der Männer in nichts nach. Und das ist vielleicht ihre eigentliche Errungenschaft: dass die Politikerin von heute genauso viel Chaos hinterlassen darf wie jeder Mann.