Für den kleinen Hummer zwischendurch

Wer sagt, dass eine Safari immer was mit Löwen zu tun haben muss? In Schweden geht’s dabei um ganz andere Tiere. Der Vorteil: Am Ende darf man alle essen.

Wer in Afrika auf Safari geht, will die »Big Five« sehen: Löwe, Leopard, Elefant, Büffel, Nashorn. Und hat oft Pech. In Schweden ist das ein wenig anders. Dort gibt es keine Leoparden, dafür Meeresfrüchte-Safaris, bei denen sich alles um die »Big Six« dreht: Hummer, Auster, Miesmuschel, Kaisergranat, Krebs, Garnele. Und die sieht man sicher - in großen Mengen, vor allem im Herbst und im Frühling.

Jeder, der Meerestiere nicht nur sehen, sondern auch fangen und essen will, weiß: Am besten isst man Schalentiere in den Monaten mit »r«. Nicht etwa, weil sie in den übrigen Monaten schlecht oder gar gefährlich wären, sondern weil der Hummer im Sommer in Schweden geschützt ist und sich die Miesmuscheln zu dieser Zeit fortpflanzen; dann ist das Wasser voll mit Miesmuschellarven (jedes Weibchen legt bis zu zwölf Millionen Eier), die sich an Booten und Stegen und zwischen ausgewachsenen Miesmuscheln festhalten. Der Kenner also wartet bis zum Spätsommer, bevor er die Region Bohuslän in Westschweden besucht, an der Grenze zu Norwegen, denn die Gegend gilt als das schwedische Dorado für Schalentiere. Bleibt die Frage, was die Menschen im Sommer dort essen? Nun, eher Garnele, Krebs und Kaisergranat. Aber alle freuen sich schon auf September, dann beginnt sie, die wahre Zeit für Hummer, Auster und Miesmuschel; die schwedischen zählen zu den besten der Welt: Dank des kalten, blitzsauberen Wassers wachsen sie extrem langsam und werden ausgesprochen zart. Und morgens kann man von putzigen Schwedendörfern mit bunten Holzhäusern, wie sie in Fjällbacka, Grebbestad oder Smögen stehen, mit Fischern in See stechen.

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Als Erstes aber steht man auf einem Steg. Per und Lars Karlsson aus Grebbestad haben sich auf Austern-Safaris spezialisiert. Nun kann man nicht gerade sagen, dass Austernfangen so aufregend wäre, wie einem Leoparden zu folgen, einfach weil Austern hier überall wachsen. Per und Lars Karlsson pflücken sie mit einer Art Heugabel auf dem Steg ihres Bootshauses stehend vom Meeresgrund ab. Dann aber schippert man auf ihrem Boot durch die vielen Inseln, die Schären. Nun beginnen die kleinen Lektionen: Hier trifft der Golfstrom auf den baltischen Strom, das Wasser ist voller Nährstoffe, und Taucher können die Austern in großen Mengen vom Grund holen. Vor allen Dingen aber lernt man, wie man sie mit dem Messer richtig öffnet. Gut, dass Lars Karlsson dabei ist, wurde er doch in diesem Jahr Dritter bei der schwedischen Meisterschaft im Austernöffnen, qualifizierte sich dadurch für den Weltcup in Kopenhagen. Seine Bestzeit: zwei Minuten 40 Sekunden für 30 Austern.

Per und Lars haben für den Austernausflug außerdem Getränke mitgebracht: Man muss dem mineralischen Geschmack der Auster nämlich entweder ebenso mineralische Getränke (Champagner!) entgegensetzen, oder genau das Gegenteil: süßes Austernbier. Per erzählt, dass sie neulich auf ihrer Austerntour einen französischen Spitzenkoch dabeihatten, der sagte, dies seien die besten Austern, die er je gekostet habe! Zu diesem Zitat erscheint nun wie auf Knopfdruck ein Doppelregenbogen am Himmel, und zwei Robben tauchen auf, die im perfekten Parallelschwung umherschwimmen.

In Grebbestad richtet die Austern-Akademie jedes Jahr am ersten Samstag im September den Austerntag aus, an dem für Besucher Tausende Austern geöffnet werden. Und es geht noch weiter nach Lyckorna, einem der nächsten Fischerdörfer, zur Miesmuschel-Safari: Miesmuscheln wachsen hier an langen Nylonstreifen im Wasser, die zwischen Betonpfeilern gespannt werden. Daran halten sich die Miesmuscheln fest - millionenfach, denn das Netz der künstlichen Muschelbänke spannt sich über viele Kilometer. Mit einem Kran wird das Nylongeflecht vom Boot aus dem Wasser gehoben, dann kann man die Miesmuscheln abpflücken.

Der Fischer Jan-Erik Bark preist sie als gesund, eiweißreich und erstaunlicherweise auch als schlau: »Wenn ihr die Bedingungen nicht zusagen, löst sie sich einfach von den Nylonbändern und lässt sich von der Strömung wegtreiben.« Die Miesmuschel filtert einen Liter Wasser pro Stunde und frisst sehr viel Plankton. Deswegen gibt es dort, wo die Muscheln wachsen, keine Algen. Übrigens ist es ein Irrglaube, dass Muscheln, die nach dem Kochen geschlossen sind, ungenießbar seien: »Wenn sie frisch sind, kann man sie mit dem Messer aufbrechen«, sagt der Fischer Bark. »Viele Menschen denken, eine geschlossene Muschel sei eine tote Muschel. Stimmt nicht: Dann könnte ihr Muskel die Schalen ja nicht zuhalten! Eine geschlossene Muschel hat einfach einen sehr starken Muskel, es ist eine Arnold-Schwarzenegger-Muschel!«

Die Königsklasse aller Meerestier-Safaris schließlich ist der Hummerfang: zum Beispiel in Fjällbacka, das mit seinen gelben, blauen, roten Häuschen aussieht, als hätten Kinder riesige bunte Bauklötzchen nach dem Spielen liegen gelassen. Hier stapeln sich die Hummerkäfige am Ufer: Denn das schwedische Gesetz erlaubt nicht nur jedem Menschen, der Schweden besucht, zu campen und zu fischen, wo er will - Privatgrund ausgenommen -, es erlaubt auch jedem Schweden, 14 Hummerkäfige zu nutzen. Jeder darf ab dem ersten Montag nach dem 20. September bis zum Frühjahr Hummer fangen; zu dieser Zeit kann man auch als Tourist an allen Ecken der Region Bohuslän an einer Hummer-Safari teilnehmen. Die Schweden feiern diesen ersten Montag wie ein Volksfest - auch wenn sie an diesem Tag viele Hummer wieder ins Wasser werfen müssen: Der Rücken von Kopfende bis  Schwanz muss nämlich mindestens acht Zentimeter lang sein, sonst darf man den Hummer nicht essen. Wie groß der größte Hummer war, den sie an Bohusläns Küsten je rausgeholt haben? Jan-Erik Bark hält die Hände so breit, als wolle er die ganze Welt umarmen, und seine Stimme überschlägt sich: »Einen Meter und zwanzig Zentimeter! Wirklich, kein Seemansgarn, ich schwöre es!«

Schalentier-Safaris können über www.westschweden.com/schalen-tierreise gebucht werden, auch übers Wochenende. Flug nach Göteborg, dann weiter mit dem Mietwagen Richtung Oslo (ca. 1,5 Stunden bis in die Region Bohuslän).

Hotelempfehlungen:
Stora Hotellet Bryggan in Fjällbacka
www.brygganfjallbacka.se
Tel. 0046/525/31060;
Villa Sjötorp in Lyckorna
www.villasjotorp.se
Tel. 0046/522/20174
sowie die Hotels des Verbundes www.petithotel.se

Die Region Bohuslän in Westschweden: Hier sind die Bedingungen für Meeresfrüchte besonders gut - viele Nährstoffe und kaltes Wasser, das sie langsam wachsen lässt.

Fotos: Ulrike Myrzik und Manfred Jarisch