Gomera

Im Paradies des "Grünen Marokkaners"

Sie klatschen noch. Vor Marias Kneipe am Kiesstrand von Valle Gran Rey auf Gomera bekommt jeder Sonnenuntergang Applaus. So wie auf der Nachbarinsel Teneriffa die Insassen eines Charterflugzeugs jede geglückte Landung beklatschen. Die Hippies haben das Ritual zum Sonnenuntergang irgendwann in den Siebzigerjahren eingeführt, und jeder hält sich heute noch daran, ob Neo-Hippie oder Pauschalurlauber, auch wenn keiner so genau weiß, warum man einen Sonnenuntergang eigentlich beklatschen sollte. Aus Tradition, weil alle es so machen, trinkt man auf Gomera eben sein Bier, lauscht der Musik und klatscht. Früher trommelten die Hippies dazu, heute hält die Inhaberin der Kneipe sicherheitshalber eine kleine Folklore-Band in Reserve. So viele Hippies, die anständig trommeln könnten und das auch pünktlich und gern gegen Freibier tun, gibt es auch nicht mehr auf Gomera.

Die kleine Kanareninsel, dreißig Kilometer westlich von Teneriffa gelegen, mit einem riesigen Nationalpark voller Lorbeerbäume in der Mitte, war wie geschaffen für Aussteiger aus Europa. Im Norden hatte der österreichische Maler Otto Muehl eine von vielen Kommunen auf der Insel gegründet, hielt Hof, mit Rum und Cohiba, umringt von Frauen, die ihn erst bewunderten und dann ins Gefängnis brachten, wegen Unzucht mit Minderjährigen. Im Westen an der Playa des Inglés fanden viele Jahre Razzien gegen Nacktbader statt, in der Schweinebucht gegen Bewohner der natürlichen Höhle in der Steilküste. Im Hafen von Gomeras Hauptstadt San Sebastián suchen Anhalter heute noch bei Seglern eine Mitfahrgelegenheit in die Karibik oder nach Brasilien. Valle Gran Rey im Westen der Insel ist also altes Hippie-Land. Hier tragen Restaurants Namen wie »Abraxas« und man bezieht sein ökologisch einwandfrei beleumundetes Hotelzimmer nur gegen Vorkasse. Manchmal übernachtet sogar noch jemand in der Schweinebucht, in einer Wohnhöhle mit Tischen und Bänken aus Treibholz. Junge Leute, die mit möglichst wenig Geld über den Winter kommen wollen, alte verkrachte Hippies, die den jungen von den guten alten Zeiten erzählen. In El Guro gibt es gar ein eigenes Wohnviertel für die vielen Aussteiger aus Deutschland: mit Angeboten zu Shiatsu oder einer Familienaufstellung nach Bert Hellinger. Im Café verkauft die Besitzerin selbst gemachte Plätzchen und selbst gemalte Bilder. In den Läden am Hafen kann man sich sein Horoskop erstellen lassen oder Batikkleider kaufen. Der deutsche Metzger musste an Weihnachten gar ein Zelt aufbauen und Erfrischungsgetränke reichen für seine Landsleute, die vor dem Laden in praller Sonne Schlange standen. Die Deutschen auf Gomera wollten sogar eine Waldorfschule für ihre Kinder gründen. Die wurde freilich von den spanischen Behörden abgelehnt. Ein Ex-Hippie namens Capitano Claudio, 70 Jahre alt, sieht all-mählich sogar Bedarf für ein eigenes Altenheim in Valle: »Viele unserer deutsch-gomerischen Neuinsulaner, die sich hier in den wilden Zeiten von Love & Peace niederließen, haben inzwischen ein Alter erreicht, in dem der Joint durch die Schnabeltasse verdrängt wird.«

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Die großen Hippiezeiten sind auch auf Gomera vorbei. Keine einzige Kommune gibt es mehr. Die ehemaligen Mitbewohner von Otto Muehl betreiben heute eine Finca für Urlauber; der Maler hat sich nach verbüßter Haftstrafe denn auch in Portugal niedergelassen. Heute kommen Sarah Wiener mit ihrem neuen Liebhaber und Pauschalurlauber auf die Insel. »Erst wollten die Insulaner die Hippies nicht mehr und erhofften sich mehr Geld von Pauschaltouristen und jetzt bereuen sie, dass nur mehr so wenige Hippies kommen«, erzählt Capitano Claudio, bürgerlich Claus Heinrichs, der vor 22 Jahren auf Gomera strandete. »Die Ottos gehen tagsüber wandern und fallen abends müde ins Bett, die lassen nicht viel Geld auf der Insel. Die Hippies haben immer gefeiert ohne Ende.« »Zu verkaufen« steht heute vor vielen Läden, Restaurants und Fincas in Valle Gran Rey, oft auf Deutsch.

Claus Heinrichs arbeitete in der Werbung, bevor er es satt hatte, wie so viele in Deutschland »dem dritten täglichen Kotelett nachzuhecheln, während man im Fitnessstudio doch schon Mühe hatte, sich das zweite abzustrampeln«. Er segelte um die Welt, machte auf Gomera Station, seine spanische Frau wollte nicht weiter nach Brasilien und so blieb er in Valle Gran Rey. Brachte mit einem kleinen Fischerboot Touristen aufs Meer zu Delfinen und den Walen, die Gomera fast das ganze Jahr über passieren. Gründete irgendwann gar eine eigene Hippiezeitung, den »Valle-Boten«, deutschsprachig, Erscheinungsweise: »nach Bock- und Wetterlage«, mit eigener »Quotenfrau« im Impressum und Insel-Nachrichten wie: »nackter Dingens« soll jetzt 1000 Euro in Spanien kosten; Scheidungsrate auf den Kanaren mit zwei Drittel aller Ehen so hoch wie nirgends sonst in Europa; der Bürgermeister hat letztes Jahr Tagesspesen für 480 Tage abgerechnet; Baba Bachmann, gerade erst aus Kathmandu zurückgekehrt, ist wegen unüberbrückbarer Eingewöhnungsschwierigkeiten wieder nach Nepal abgereist: Gomera war ihm zu laut geworden. Die Insel zieht immer noch vergleichsweise viele Aussteiger an. Die meisten kommen allerdings mit unrealis-tischen Geschäftsvorstellungen, zu wenig Kapital oder ohne den nötigen langen Atem. Vor Capitano Claudios Spott sind auch sie nicht sicher: »Neulich kam einer, der wollte hier mit Tierfotografie sein Auskommen finden. Als er merkte, dass der Markt in Valle dafür doch sehr beschränkt ist, nahm er noch Hundefutter mit ins Angebot. Aber merkwürdigerweise hat das auch nicht hingehauen. Nach drei Monaten war der wieder weg.«

Aber auch Capitano Claudio steht seit einem Jahr wieder vor dem Nichts. Seinen Betrieb für alternative Walfahrten musste er schließen. Heinrichs benutzte kleine Boote, die nicht für die vorgeschriebene Anzahl von Schwimmwesten oder Hilfspersonal Platz ließen. Sein spanischer Konkurrent brachte das zur Anzeige. Ein Akt von Hippiefeindlichkeit? »Ach wo, der wollte sich halt das Geschäft unter den Nagel reißen.«

Gleich neben der Schweinebucht, südlich des Hafens von Valle Gran Rey, liegt die Finca Argayall, eine Mischung aus »spiritueller Lebensgemeinschaft, Seminarhotel und Finca mit gewöhnlichem Gästebetrieb«, die von einigen ehemaligen Sannyasins und Freunden vor 21 Jahren gegründet wurde. Die Finca ist ein ökologischer Vorzeigebetrieb, mit Permakultur und Sonnenkollektoren – und seit Jahren ständig ausgebucht. Ein seltenes Beispiel für ein ökonomisch erfolgreiches Aussteigerprojekt auf Gomera. Die Managerin Grace sagt, sie sei niemals Hippie gewesen, »so ein Leben wäre mir viel zu unluxuriös und hart«. Als Aussteigerin begreift sie sich, ihre Geschäftspartner und Freunde schon eher. Sie führt allerdings ein Aussteigerleben mit geregelten Arbeitszeiten und ihr Sohn geht mit vielen anderen deutschen Kindern auf die strenge spanische Inselschule.

Übernachten: Hotel Gran Rey, 38870 Gran Rey, Tel. 0034/922/ 805859, DZ ab 90 Euro, www.hotel-granrey.com. Finca Argayall, Valle Gran Rey, Tel. 922/697008, DZ ab 126 Euro, im Zelt ab 88 Euro, www.argayall.com.
Essen: Bar-Restaurante El Puerto, am Hafen in Vueltas, Tel. 922/805224. Lassen Sie sich nicht abschrecken von Jamon, dem Wirt mit der rauen Schale, dessen weichen Kern man nicht findet – sein Fisch ist großartig.
Unbedingt im Nationalpark Garajonay wandern gehen.

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