Urbane Gipfel

Das aktuelle SZ-Magazin widmet sich einem einzigen Thema: Bergen von Ä bis Z. SZ-Autoren sind sie hinaufgeklettert, bis ins ferne Pakistan. Die naheliegendsten Gipfel wurden dabei übersehen. Auch in deutschen Großstädten finden sich Berge: Schuttberge, Müllberge, kleine Anhöhen und stattliche Hügel. Wir haben sie besucht.

    (Almabtrieb am Olympiaberg - Text weiter unten - in München)

    Der Monte Scherbelino, Stuttgart Der Schwabe pilgert mindestens einmal in seinem Leben zum Birkenkopf, ein Schuttberg im Stuttgarter Westen, eigentlich „Monte Scherbelino“ genannt. „Monte Scherpelino“, so dachte ich als Kind fasziniert, und vermutete eine mystische und irgendwie italienische Geschichte hinter der Namensgebung. Die wahren Hintergründe erfuhr ich erst später, nämlich die, dass der Berg aus Trümmern des zweiten Weltkriegs besteht. Angehäuft zur Mahnung? Zur Erinnerung? Vielleicht beides. Jedenfalls war es immer nett, den Monte Scherbelino zu besuchen: man fuhr mit einem Haufen anderer grölender Grundschüler per S-Bahn nach Stuttgart und erwanderte über den schneckenhausrunden Weg gemütlich den 511 Meter hohen Berg, setzte sich oben entweder auf ein „Holzbänkle“ und mampfte sein Vesper, oder man krabbelte auf den gespenstischen Häuserresten zerstörter Villen herum, die sich auf der Aussichtsplattform türmen.

    Am Gipfel ragt ein Stahlkreuz dem Himmel entgegen, unter dem regelmäßig (und bei jedem Wetter!) Gottesdienste stattfinden. Sehr feierlich ist es, wenn die Sonne scheint, denn vom Monte Scherbelino ist die Aussicht über den Stuttgarter Kessel eine der schönsten und höchsten der Stadt. An klaren Tagen sieht man das Strohgäu, den Schwarzwald, das Neckartal bis hin zur Schwäbischen Alb. CHRISTIANE LUTZ

    Meistgelesen diese Woche:

    Unbedingt: Brezeln, Landjäger und Äpfel mitnehmen - denn oben gibt es nichts.

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    Der Elbberg, Hamburg

    Hamburg ist einfach die beste deutsche Großstadt: Sie hat den größten Hafen, das prickelndste Rotlichtviertel, den lustigsten Wochenmarkt und zur Zeit den besten Fußballclub. Nur eines fehlt: Eine vernünftige Erhebung. Für dieses Problem hat man in Hamburg allerdings eine einfache Lösung gefunden: Hamburger ernennen einfach alles, was höher ist als eine Sandburg, zu einem Berg. Wie etwa den Schanzenberg (niedliche 38 Meter hoch) oder den Gojenberg, der sich – noch dazu im Bezirk Bergedorf – 40 Meter in die Höhe streckt. Mitten in der Stadt liegt dagegen der Elbberg.

    Dass es sich bei der kleinen Steigung zwischen Landungsbrücken und Altona um einen Berg handelt, davon lassen sich die Hamburger nicht abbringen. Nicht vom Amt für Geoinformation – „Nein, das ist kein Berg, höchstens ein steiles Flussufer“ – und auch nicht von der Tatsache, dass es zwar auf der einen Seite steil hoch, auf der anderen Seite aber nur sehr langsam wieder herunter geht. Das sei ja eben das tolle am Elbberg, finden die Hamburger. Der Elbberg habe zwar keinen Gipfel, sondern ein Plateau, den Altonaer Balkon. Aber der, und da muss man ihnen recht geben, sei wirklich einmalig: Der Blick auf den sich immer bewegenden Hafen ist besser als jedes Fernsehprogramm, untermalt wird die Aussicht vom Soundtrack der Werft, der Barkassen und der dicken Pötte mit ihren angeberischen Hupen. Auf dem Altonaer Balkon hat man seine Ruhe – vor den Schickimickis aus den Beachclubs unten am Wasser und dem bunten Treiben auf dem Kiez. Nur freitags wird es manchmal etwas hektisch, weil alle Hochzeitspaare aus dem Altonaer Rathaus hier ihre Fotos machen.

    Dass der Elbberg ein echter Berg ist, meinen übrigens vor allem die Radfahrer. Hamburger Radler, deren Bergerfahrung meistens nicht weit über Bordsteinkante hoch- und wieder herunterfahren hinaus geht, haben mit dem Elbberg so ihre Probleme: Sowohl hoch, denn der Anstieg ist kurz aber steil und die beiden Ampeln springen mit fast 100 Prozent Trefferquote immer kurz bevor man dort ist auf rot, so dass man mit viel Kraft erst wieder in Fahrt kommen muss. Als auch, wenn sie umdrehen und wieder runterfahren. Anwohner haben das Gefühl, dass sich am Elbberg mehr Radfahrer langlegen als im ganzen restlichen Hamburg. Mit so einer Schussfahrt kann der gemeine norddeutsche Radfahrer einfach nicht umgehen. NICOLE BASEL

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    Herkulesberg, Köln
    Der Herkulesberg ist der größte Trümmerberg in Köln. Passend zum Namen ist der Herkulesberg ein beliebter Teffpunkt für Freiluftvergnügen der Kölner Schwulenszene. Früher fanden hier zudem ungenehmigte Open-Air -Technopartys statt. Und mit Techno ist hier nicht der schlimme Großraum-Disko-Utz-Utz-Sound gemeint, sondern feinste DJ-Klänge.

    Heute geht man zum Herkulesberg zum Joggen und führt den Hund aus. Die idyllischen Grünflächen tun der Stadt gut. Auf der Wiese sitzend lässt es sich auch gut über den in Sichtweite liegenden pseudo-hippen Mediapark Scherze machen. MAI-PHI TRAT QUAN

    Unbedingt: Beim Joggen schon gen Ehrenfeld laufen und sich nach der Kalorienverbrennung ein Stück echte französische Quiche im wirklich netten "Saveurs de Provence" auf der Venloer Straße reinziehen (Betreiber sind veritable Franzosen) oder gefüllte Pfannkuchen namens "Peter", "Rachel" und "Richard" im "Lizbät" verdrücken.

    Auch schön: Der Hügel am Aachener Weiher, wo bei gutem Wetter gutaussehende Jungmenschen so eng wie in einer Legebatterie bräunen und grillen.

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    Der Olympiaberg, München
    Vorneweg eine Glaubensfrage: Welcher Münchner Hausberg ist spannender - der Müllberg in Fröttmaning oder der Olympiaberg am Rande Schwabings?

    Lassen Sie sich nicht von den Namen alleine leiten, der Müllberg ist längst begrünt und im Winter steht hier sogar ein Skilift. Pluspunkte gibt es auch für das einsame Windkraftrad, von dem Kinder denken, dass es die nahe Allianz Arena leuchten lässt.

    Der Olympiaberg hingegen hat einen kleinen versteckten Biergarten zu bieten und erstaunlich weitläufige Spazier- und Joggingwege. Das Schöne am Olympiaberg ist aber seine Großzügigkeit. Tausende Münchner haben sich hier oben schon kostenlos Open-Air-Konzerte im nahen Olympiastadion oder -park angehört, einzig gestört von Horden orientierungsloser Maikäfer. Schwer getroffen hat den Berg der Weggang des FC Bayern - ausgerechnet hin zum großen Rivalen, dem Müllberg, dessen Nachbar die Allianz Arena ist. Seitdem kämpft der Olympiapark schuldlos und unverdient gegen die Bedeutungslosigkeit. Jogger, Hundesbesitzer und japanische Reisegruppen halten ihm aber die Treue. MARC BAUMANN

    Unbedingt: Die zeitlos großartige Architektur des Olympiastadiodachs bewundern. An Silvester den Raketen beim Verglühen über der Stadt zusehen. Im Sommer den Biergarten suchen, finden und Weißbier-Zitronenlimo trinken, auch "ein Russ" genannt.

    (Nächste Seite: Der Lohrberg, Frankfurt)

    Der Lohrberg, Frankfurt
    Der gebürtige Frankfurter redet nicht besonders euphorisch über den "Lohr". Das hat der immerhin 212 Meter hohe Berg nicht verdient, denn 1) gibt es hier ein Restaurant, einen Kinderspielplatz, Frankfurts längste Rodelbahn sowie ein umweltpädagogisches Beratungszentrum; und 2) wird am Lohrberg Wein angebaut: etwa auf einem Hektar, ausschließlich mit Riesling bestockt und etwa 10.000 Flaschen Wein pro Jahr hervorbringend. Lobenswert ist zudem der gute Ausblick (Bankenviertelhochhäuser) und das erstklassige Drachensteigrevier.
    MARC BAUMANN

    Unbedingt: Den "2004er Frankfurter Lohrberger Hang Riesling Kabinett trocken" probieren, der wurde preisgekrönt.