»Es soll ein Spektakel werden«

Als Performance spielt der Künstler Massimo Furlan demnächst das legendäre WM-Spiel DDR-Bundesrepublik von 1974 nach. Die Krux: Er ist kein Sportler und hat nur einen Mitspieler. Warum das trotzdem funktioniert und sogar recht witzig werden dürfte, erklärt er im Interview.

Der italienische Künstler Massimo Furlan, 52, bei einer früheren Performance im Trikot von DDR-Nationalspieler Jürgen Sparwasser. Am 30. April wird Furlan im Münchner Olympiastadion allerdings Sepp Maier spielen – Sparwasser darzustellen ist ihm inzwischen »zu anstrengend«.

Foto: Massimo Furlan

SZ-Magazin: Am 30. April spielen Sie Fußball im Münchner Olympiastadion. Zu zweit. Sie nennen das »Reenactment des WM-Fußballländerspiels DDR-BRD 1974«. Was soll das?
Massimo Furlan: Es wird eine Performance, die sich im weitesten Sinne mit dem kollektiven Gedächtnis auseinandersetzt. In der Erinnerung formen wir das Erlebte und erfinden unsere Helden, sie leben in der Erinnerung fort. Jede Nation hat eigene Fußballheroen, die in außergewöhnlichen Spielen geboren wurden. Ich spiele seit Jahren diese legendären Fußballpartien nach. Jede Partie ist eine eigene Geschichte. Wenn man als Kind einem Märchen zuhört, fiebert man mit, bekommt Angst, bei einer Fußballpartie ist das genauso.

Sie bewegen sich also neunzig Minuten lang wie ein Spieler über den Rasen und laufen seine Originallaufwege nach?
Richtig. In München sind wir zu zweit. Ich spiele Sepp Maier, der Schauspieler Franz Beil spielt Jürgen Sparwasser, den Torschützen zum entscheidenden 1:0 für die DDR.

Haben Sie dafür die Partie komplett auswendig gelernt?
Wir schauen sie uns einige Male an und sprechen uns dann einen eigenen Kommentar auf, den wir während der Performance im Ohr hören: Jetzt Haken nach rechts, fünfzig Meter Sprint in den Strafraum, dann fallen lassen und das linke Knie schmerzverzerrt reiben – so in etwa.

Meistgelesen diese Woche:

Keine Kamera hat Jürgen Sparwasser neunzig Minuten lang im Bild gehabt.
Wenn man jemanden studiert, seine Bewegungen, seine Gesten, seine Stürze, seine Taktik, mit dem Gegenspieler umzugehen, dann erfasst man irgendwann sein Herz und ist auch in der Lage zu improvisieren, sobald man zeigen muss, was die Kamera nicht gezeigt hat. Was ich nicht sehe, erfinde ich. Aber nach drei Monaten Vorbereitungszeit bin ich gut im Erfinden. So lange dauert es in etwa, jemanden zu studieren, sich einzufühlen und auch sich die nötige Fitness anzueignen. Ich bin ja nicht gerade sportlich. Die Performance entbehrt deswegen auch nicht einer gewissen Komik. Man sieht ja einen normalen Körper, nicht den perfekten einen Profifußballers.

Wie oft haben Sie solche Reenactments schon aufgeführt?
Fünfzehn Mal. Zweimal in der Schweiz, dreimal in Italien, zweimal in Frankreich. Ich spielte Boniek in Polen, Krankl in Österreich, Mager in Portugal; Sparwasser in Deutschland habe ich bereits zweimal aufgeführt. In Südkorea habe ich auch schon gespielt: Ahn Jung-hwan, einen Stürmer, der bei der WM 2002 Italien rausgeschossen hat.

Und damit verdienen Sie Geld?
Nicht wirklich. Es soll ja ein Spektakel werden, zu dem möglichst viele Leute ins Stadion kommen, die wollen wir nicht mit  Eintrittsgeldern verschrecken.

Wie viele Zuschauer sind Ihr Rekord?
In Wien kamen einmal 5000 Zuschauer. Das war unglaublich, wie die mitgingen, Sprechgesänge anstimmten und die Tore bejubelten. In Italien haben die Tifosi einmal sogar nach Spielende einen Autokorso durch die Stadt gebildet, ganz spontan, das war nicht unsere Idee. In Korea blieb das Publikum dagegen recht steif.

Von was leben Sie?
Ich bin Künstler und leite Theater-Projekte, Performance-Dinge, die sich mit der kollektiven Erinnerung befassen. Wir haben eine Gesellschaft gegründet, in der auch Philosophen, Akrobaten oder ganz normale Leute mitarbeiten. Ich versuche, nur das zu tun, zu dem ich Lust habe.

So jubelte der echte Jürgen Sparwasser, als er am 22. Juni 1974 im WM-Spiel gegen die Bundesrepublik das 1:0 für die DDR erzielte. Berti Vogts schaut dem Ball hinterher, Sepp Maier wälzt sich am Boden.

Foto: dpa

Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, allein oder zu zweit Fußball zu spielen?
In meiner Kindheit waren Fußball-Liveübertragungen ein besonderes Ereignis, das man mit Aufmerksamkeit verfolgt hat. Ich bin Italiener, aber in der Schweiz aufgewachsen. Mein italienischer Onkel hat mir irgendwann ein kleines Transistorradio geschenkt, auf dem ich alle WM- oder Europapokalspiele live verfolgt habe. Ende der Siebzigerjahre gab es eine ganz außerordentliche Generation italienischer Kommentatoren. Die haben jedes Spiel zu einem Erlebnis gemacht. Ich habe sie imitiert, unterbrochen oder sogar ersetzt, wenn der Empfang des italienischen Senders mal wieder im Rauschen unterging. Dazu habe ich immer mit einem kleinen Gummiball im Kinderzimmer gespielt. Und irgendwann habe ich so getan, als ob ich in die italienische Nationalmannschaft berufen worden wäre: mit der Nummer 23 Massimo Furlan. Ich habe den Originalkommentar des Spieles in einigen Augenblicken unterbrochen und ins Spielgeschehen eingegriffen: Tardelli gibt zu Furlan, der schießt einen weiten Pass auf rechts... So habe ich meine Karriere begonnen.

Wie lange haben Sie allein gespielt?
Ich habe das auch noch als erwachsener Mann gemacht, allein in meinem Zimmer, bis ich 37 war. In dem Alter verabschieden sich ja die meisten Profis in die Rente, ich bin dann auch abgetreten, habe meinen Traum aufgegeben und spielte ab dem Zeitpunkt nur mehr öffentlich. So ist die Performance entstanden.

Haben Sie mal echten Fußball gespielt? Im Verein?
Kaum. Als Kind vielleicht mal mit Freunden im Pausenhof. Mit 33 oder 34 habe ich dann mal eine Saison in der niedrigsten Klasse gespielt. Ohne Erfolg. Gerade mal ein Tor habe ich geschossen, mir dann aber gleich den Fuß gebrochen. Aber die Performance fußt auf dem Traum eines kleinen Jungen, ein Held zu werden. Davon träumen viele Jungs. Ich habe als Kind eben davon geträumt, Superman zu werden, oder ein großer Sänger oder eben Fußballspieler. Als Kind kann man ein Zimmer ja kraft der Imagination in Sekundenschnelle in ein Stadion verwandeln. Wie im Theater. Der Traum war so lebendig, dass ich jahrelang jeden Tag allein mit dem Gummiball in meinem Zimmer verbrachte, mir die Spiele erfunden und mich dabei selbst kommentiert habe, wie ich eine Partie entschied und zum Helden wurde. Ich habe auf diese Weise viele Millionen Male die WM und den Europapokal gewonnen. Ich war also in gewisser Weise doch ein ganz außergewöhnlich erfolgreicher Spieler, obwohl ich nicht im Verein spielte.

2002 haben Sie mit Ihrer Performance begonnen. Jetzt laufen Sie zum ersten Mal zu zweit auf.
Dieses Mal spiele ich nur den Torhüter. Sparwasser nachzuahmen wäre mir zu anstrengend und intensiv gewesen. Wir zeigen ja nicht nur das gesamte Spiel, sondern auch das Aufwärmen davor und die Gratulationen nach dem Sieg.

Sind Sie über die Jahre eigentlich besser geworden?
Als Spieler nicht. Höchstens als Schauspieler.

Wer war der beste Spieler, den Sie gespielt haben?
Zu Michel Platini habe ich eine besondere Beziehung. Ich habe ihn im WM-Halbfinale 1982 gespielt, jener mythischen Partie gegen Deutschland, einem Meisterstück, einer der allerspannendsten Partien überhaupt. Frankreich hat dieses Spiel verloren, und erlitt ein Trauma. Zum letzten Mal spielte Frankreich seinen schönen Fußball mit Naivität und Frische, mit Romantizismus. Wahrscheinlich war die Partie deswegen auch so besonders intensiv. Und dann dieses Elfmeterschießen und der furchtbare Zusammenprall von Patrick Battiston und Toni Schumacher. Die Dramaturgie dieser Partie war außergewöhnlich. Am 1. Juni werden wir sie erneut nachspielen. In Paris, dieses Mal mit 21 Leuten. Ohne mich. Zwei Stunden. Sie trainieren schon. Ein Battiston ist auch schon ausgesucht. Wir spielen im alten Stadion, wo die Nationalmannschaft spielte, bevor sie ins Stade de France umzog. Es wird wunderbar. Frauen spielen auch mit. Alle fußballverrückt.

Bereiten Sie allmählich Ihren Rücktritt vor?
Als Spieler bin ich mit 52 wirklich zu alt, ich rauche auch zu viel. Aber ich werde immer weiter machen und Dinge erfinden. Ich bin jetzt glücklich, für München einen Mitspieler gefunden zu haben. Vielleicht gelingt es mir in einigen Jahren auch, meinen Sohn für eine Performance zu verpflichten, noch ist er mit zwölf zu jung. Und vielleicht kann ich ja irgendwann den Trainer geben. Trappatoni würde mir gefallen, durch die Finger pfeifend am Seitenrand.

Mit dem Reenactment des WM-Spiels DDR-Bundesrepublik von Massimo Furlan am 30. April um 19 Uhr im Münchner Olympiastadion (Eintritt frei) wird die Public Art Munich 2018 eröffnet, die bis 27. Juli performative Kunst in der Stadt zeigt. Das komplette Programm finden Sie hier.