SZ-Magazin: Herr Kuhlmann, vor einigen Jahren haben wir Surfer im Gazastreifen begleitet. Die Männer hatten oft Ärger mit der Hamas, man warf ihnen vor, einen angeblich aus den USA stammenden Sport zu betreiben. Wird Skateboardfahren, das in Kalifornien erfunden wurde, ebenso verdammt?
Ben Kuhlmann: Nein, überhaupt nicht. Ich hab von der Hamas gar nichts mitbekommen, ich war im Westjordanland, dort regiert die Fatah, die hatten kein Problem damit. Ein paar Väter haben ihren Kindern gesagt: »Warum verbringst du deine Freizeit nicht mit einem anständigen Sport?«
Aber das sagen deutsche Väter auch schon mal...
Genau. Die allermeisten Palästinenser, die ich getroffen habe, waren fasziniert vom Skaten und haben Fotos von uns gemacht und wollten wissen, wie das geht, wie man mit dem Brett in die Luft springt. »Skate Aid« arbeitet mit einem SOS-Kinderdorf in Bethlehem zusammen, in der Stadt gibt es einen großen christlichen Bevölkerungsanteil von fast 50 Prozent, darum sieht man auch mal Frauen in engen Jeans und High Heels. Was nicht heißt, dass man dort nichts vom Nahost-Konflikt mitbekommen würde: Fünf Minuten von der Innenstadt entfernt verläuft die hohe Mauer, die Israel um das Westjordanland gebaut hat, man wird an den Checkpoints vom israelischen Militär drangsaliert und jeden Freitag gibt es die Proteste nach dem Freitagsgebet.
Die sieht man auch auf ihren Fotos.
Das ist schon fast wie ein einstudiertes Theaterstück: Man trifft sich immer an der gleichen Straße, unten wartet das Militär, oben werfen Jugendliche Steine. Gefährlich ist es trotzdem: Einer der palästinensischen Skater - der Junge, der auf den drei Porträtfotos vor der Mauer steht mit dem roten Skateboard - hat zwei Kugeln ins Bein bekommen. Aber er skatet trotzdem weiter. Als ich im Westjordanland war, wurde ein Siedler erschossen von Palästinensern. Kurz nach meinem Aufenthalt gab es den Brandanschlag eines extremistischen Siedlers auf eine palästinensische Familie, bei dem ein Baby getötet wurde. Aber die allermeiste Zeit führen die Menschen dort ein ganz normales Leben, das sich um Arbeit, Liebe, Kinder dreht. Oder darum, ein neues Smartphone zu bekommen. Der westliche Lebensstil ist dort beliebter als man vielleicht bei uns denkt.
War Politik ein Thema im Gespräch mit den palästinensischen Skatern?
Die wollten lieber übers Skateboardfahren sprechen und von mir neue Tricks lernen. Aber natürlich spricht man über die ständigen Kontrollen, oder darüber, dass man kein Skatematerial im Westjordanland kaufen kann und sie auf gebrauchten Brettern fahren müssen, die sie ab und an geschenkt bekommen. Wenn man die Jungs oder die Kinder besser kennenlernt, erzählen sie, wie israelisches Militär nachts die Häuser und Wohnungen durchsucht, das traumatisiert viele.
Warum glauben Sie, dass Skateboardfahren wichtig ist für Kinder in einem Krisengebiet?
Erstmal ist es wichtig, dass sich überhaupt jemand mit den Kindern beschäftigt. Viele Kinder, die dort Skaten lernen, kommen aus zerrütteten Familien oder sind Waisen. Abgesehen davon finde ich, dass Skateboardfahren tatsächlich gut für den Charakter ist: Der Sport ist schwer, man muss dran bleiben, Geduld haben und nicht aufgeben. Bis man einen Trick lernt, dauert es und ist manchmal schmerzhaft, aber am Ende hat man etwas Neues gelernt, man hat Erfolg. Man sieht auch eine Stadt anders, kreativer, als großen Spielplatz.
Wie Sie sagen, tut man sich beim Skaten gerade auch am Anfang schon mal weh - schreckt das nicht manche Kinder ab?
Die Mädchen waren nach dem ersten heftigeren Sturz etwas irrtiert, aber dann haben alle weitergemacht. Wenn ich in Deutschland Fotos aus Bethlehem zeige, sind die Leute oft überrascht, dass Mädchen dort auch skaten dürfen, aber die Palästinenser sind nicht so konservativ wie die Saudis etwa.
Wie sah ihr Tagesablauf aus bei »Skate Aid«?
Vormittags waren die Kinder in der Schule, da hatte ich Zeit für mich und habe viel fotografiert. Ab 12 Uhr bin ich ins Kinderdorf, hab mit meiner Gruppe zu Mittag gegessen und bei den Englisch-Hausaufgaben geholfen. Ab 15 Uhr bin ich dann mit den Kindern bis abends zum Skatepark gegangen und hab versucht, ihnen das beizubringen. Ich hab auch weiter am Skatepark gebaut.
Kickflips Over Occupation from MaenHammad on Vimeo.
Sind Sie auch mit israelischen Skatern unterwegs gewesen?
Ja, ich war ein Wochenende in Tel Aviv, dort gibt es eine große Skateszene mit wirklich guten Fahrern. Im Westjordanland bestand die Skateszene aus genau sechs Jugendlichen. Ich hab den israelischen Skatern von »Skate Aid« und unserem Skatepark in Bethlehem erzählt, sie fanden das gut, aber sie würden nie dort hinfahren, oder mit den Palästinensern skaten. Es fahren zwar Israelis ins Westjordanland, weil Dienstleistungen dort viel billiger sind, aber eigentlich ist es untersagt, auf Schildern wird ausdrücklich davor gewarnt.
Was nehmen Sie mit von der Reise, welche Erfahrungen bleiben?
Den Menschen im Westjordanland ist die Gemeinschaft viel wichtiger als uns, man ist nicht so ichbezogen wie in Deutschland. Das hat mir gefallen. Man merkt aber auch, dass Israelis und Palästinenser keinen Frieden schließen werden, der Konflikt wird ewig weitergehen, leider. Was mich betrifft: Ich werde wahrscheinlich weiter mit »Skate Aid« zusammenarbeiten, in Dortmund gibt es bald ein Projekt in einem Problemstadtteil.
Wie geht es weiter mit dem Skatepark in Bethlehem?
Der Park steht jetzt, Ende August kommt mein Nachfolger, der länger bleibt als ich. Aber langfristig würden wir gerne einen Einheimischen finden, der das übernimmt.