SZ-Magazin: Ihr rechtes Auge ist ja total blutunterlaufen.
Michael Ballack: Ein Zusammenprall mit dem eigenen Mann, beim Torjubel letztens. Nichts Schlimmes.
Mal sehen, wie das dann auf den Fotos aussieht.
Warum? Es heißt doch immer, Sie seien so eitel.
Genau! Und arrogant dazu.
Sagt man.
Sagt man das? Ganz am Anfang meiner Karriere hat ein Journalist mal so etwas geschrieben: Ich sei eitel und arrogant. Dabei kannte mich der Kollege doch überhaupt nicht. Ich habe anfangs noch versucht, mich zu wehren, und gefragt: Warum soll ich arrogant sein, nenn mir ein Beispiel? Nichts. Trotzdem: Zwei Wochen später wieder der gleiche Vorwurf – einfach abgeschrieben – in einer anderen Zeitung. Irgendwann dachte ich mir: Ihr könnt mich mal mit euren Vorurteilen. Schreibt doch, was ihr wollt.
Klingt ernüchtert.
Nicht grundsätzlich, aber manchmal wundere ich mich schon, was Leute schreiben, mit denen ich noch nie in meinem Leben ein Wort gewechselt habe. Die sehen mich spielen und schreiben einfach drauflos.
Sie hatten es besonders im letzten Jahr beim FC Bayern nicht immer einfach. Es scheint so zu sein: Entweder man mag Sie. Oder eben nicht. Es gibt wenig dazwischen.
Wenn ich an Leverkusen zurückdenke: Da haben bei meinem Abschied vor fünf Jahren viele geweint, die Fans und ich. Bei Bayern war das zum Schluss nicht mehr so, das stimmt schon, was ich aber nicht verstehen kann.
Bei Bayern München, Ihrem Ex-Verein, hatte zuletzt Trainer Felix Magath alle Kritik abgekriegt. Bis er entlassen wurde.
Als ich weg war, da hat es ihn erwischt (lacht). Aber ernsthaft: An wem konnten sich Presse, Fans und Vereinsbosse in München denn noch reiben nach meinem Abgang? Vielleicht an Oliver Kahn? Also ist der Druck auf Felix Magath noch größer geworden, als er ohnehin schon war.
Man liest in Deutschland öfter, es laufe in Chelsea nicht hundertprozentig, Sie würden sogar hin und wieder ausgebuht werden.
Das müsste ich doch eigentlich hören in den engen Stadien, oder? Nein, die Fans sind sehr fair zu mir, obwohl ich noch nicht meinen besten Fußball gezeigt habe.
Bei der Weltmeisterschaft, im Deutschland-Trikot, wurden die Spieler der Nationalmannschaft von allen gefeiert. Hat es damals gutgetan, einmal die uneingeschränkte Zuneigung zu spüren in der Öffentlichkeit?
Ja.
Wären Sie gern ein Publikumsliebling wie zum Beispiel Mehmet Scholl?
Publikumsliebling sein – wer will das nicht? Ganz klar. Aber, wie soll ich sagen: Der eine ist’s halt, der andere nicht.
Warum sind Sie es nicht?
Als ich zu den Bayern kam (lacht), war diese Rolle schon vergeben (an Mehmet Scholl, Anm. d. Red). Aber im Ernst: Das ist schwer zu sagen. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Auch dass ich in der Presse nicht immer gut wegkomme, weil ich mich Journalisten gegenüber nicht verbiegen will. Es ist halt so, ich kann es nicht ändern. Ich habe meine Prinzipien, was sich manchmal rächt, aber das belastet mich nicht.
»Lachnummer«, »Fans haben Schnauze voll«, »Ballack kaputt«, so lauten Schlagzeilen in der Bild-Zeitung. Sprechen Sie im Moment mit Leuten von Bild?
Nein.
Kann man sich das als Kapitän der Nationalmannschaft überhaupt leisten? Haben Sie nicht die Befürchtung: Ich rede nicht mit einigen Journalisten, dafür schreiben die noch schlechter über mich?
Das ist keine Befürchtung, sondern Realität. Wenn man falsch berichtet, Unwahrheiten verbreitet oder gar hetzt, dann ist es verständlich und auch legitim, dass ich mich wehre. Ich will nicht meinen Anstand verkaufen, damit mein Bild in der Öffentlichkeit so perfekt wie möglich ist.
Vielen Spielern ist dieses Bild extrem wichtig; die würden fast alles dafür tun. Und sie werden dann auch meistens besonders geliebt von den Fans.
So sieht es aus.
Aber nicht für Sie?
Als ich anfing, professionell zu spielen, habe ich noch gedacht: Das ist nur Fußball. Einfach nur Fußball. Naiv, nicht? Und dann kamen plötzlich die ganzen Geschichten dazu, die täglichen Kommentare, Einschätzungen, Vorurteile. Irgendwann kennt man die Mechanismen und man wird härter. Das ist Teil des Jobs, diese Schale habe ich mir im Lauf der Jahre zugelegt. Du musst nur mit dir selber im Klaren sein.
Sie sind jetzt ein gutes halbes Jahr in London. Hat sich Ihr Leben stark verändert in dieser Stadt?
Es ist tatsächlich noch öffentlicher geworden. London ist groß, ich bin hier bestimmt kein Superstar. Aber weil so viele Prominente rumlaufen, Schauspieler, Künstler und so weiter, stehen schon sehr viele Paparazzi vor Restaurants oder angesagten Läden. Manchmal kann es auch passieren, dass irgendjemand die Zeitungen anruft, dann hast du gleich einen ganzen Haufen vor der Tür. So was gab es in München nicht.
Unangenehm für Sie?
Ich musste neulich schmunzeln. Das kannte ich vorher nur aus MTV-Sendungen über Popstars: zehn, 15 Fotografen, die um dein Auto rennen, sich davorstellen und immer weiterfotografieren, so dass du nicht einmal losfahren kannst. Aber dass muss ich natürlich nicht haben.
Die Orte Ihres Lebens sind immer größer geworden: Chemnitz, Kaiserslautern, Leverkusen, München – und jetzt London. Wie schnell fanden Sie sich zurecht?
Man muss halt peu à peu die kleinen Wege kennenlernen in so einer Riesenstadt, das geht los beim Weg zum täglichen Training. Welche Einkaufsmöglichkeiten hast du, wo liegt die Schule? Wir haben in unserer Nachbarschaft gleich ein paar nette Leute kennengelernt, wie damals am Starnberger See, wo wir in meiner Zeit bei Bayern gelebt haben. Leute, die nichts mit Fußball zu tun haben. So wächst man natürlich am besten in eine Stadt hinein. Auch meine Familie fühlt sich wohl. Die Kinder gehen auf eine englische Schule, auch das war anfangs zwar hart, aber jetzt passt es.
Was macht Ihr Englisch?
Ich kann mich gut verständigen. Auf dem Platz war das sowieso kein Problem. Fußball-Vokabeln waren die ersten Wörter, die ich hier lernte; ein Chelsea-Mitarbeiter brachte mir am ersten Tag eine Liste, auf der alles stand.
Also Sachen wie »Einwurf«, »Abseits«, »Hintermann«, »Spiel steil«, »Lass ihn« und so?
Genau. Was man halt braucht.
Was heißt zum Beispiel »Hintermann«?
»Man on.« Das schreien sogar die Zuschauer im Stadion. Nicht einer – die ganze Tribüne brüllt das. Wenn man im gegnerischen Stadion von hinten auf einen Spieler zuläuft, hört man plötzlich ein dröhnendes »Man on«.
Also können englische Zuschauer, die viel dichter als in Deutschland am Spielfeld sitzen, wirklich ins Spiel eingreifen.
Es ist unglaublich, wie genau man alles sieht und hört. Wie alle in den ersten Sitzreihen aufspringen, wenn man zum Einwurf an die Seitenlinie kommt. Wie alle murren, wenn ein Spieler etwas länger braucht, um den Ball abzuspielen. Wenn einer nicht weiß, wohin mit dem Ball, dann wird es sofort unruhig im Stadion. Die wollen ja schnellen Fußball sehen. Ein Unterschied ist auch, dass in Deutschland meistens nur in den Fankurven hinter den Toren Stimmung gemacht wird. Hier dagegen gibt es auf allen Plätzen fanatische Anhänger.
Ist auch das Training bei Chelsea anders?
Sicher. Hier ist es so, dass eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn die Co-Trainer rausgehen und auf mehreren, ineinander übergehenden Fußballplätzen eine Reihe von Übungen aufbauen. Da hast du dann auf einem Riesenfeld sechs, sieben verschiedene Stationen: Angriff, Verteidigung, Mittelfeld – die eine Gruppe trainiert da, die andere dort. So verlierst du auch weniger Zeit. Es wird sehr intensiv trainiert, mit viel weniger Pausen als in Deutschland. Insgesamt mehr Taktik, weniger Kraft, mehr Sprints, weniger Ausdauer. Wir haben hier noch nie einen Ausdauerlauf gemacht.
Ihr Ex-Trainer Felix Magath bevorzugte bei Bayern München das genaue Gegenteil. Seine Spezialität: Bergläufe.
Wir waren auch bei Felix Magath fit. Ob München oder London: Fitness ist das oberste Ziel. Nur der Weg ist ein anderer. Fit wird man hier in England mehr über Sprints und Spielübungen. Das war für mich auch neu. In Deutschland habe ich ja schon in jungen Jahren meist reine Kondition gebolzt.
Ottmar Hitzfeld hat angekündigt, dass er für die neue Saison dem FC Bayern nicht mehr als Trainer zur Verfügung stehen werde. Als Nachfolger ist auch Ihr jetziger Trainer José Mourinho im Gespräch. Können Sie sich vorstellen, dass er nach München geht?
Nein, das glaube ich nicht.
Wer wäre denn der geeignete Kandidat?
Wenn es Ottmar Hitzfeld nicht machen sollte, muss ich nicht lange nachdenken: Stefan Effenberg.
Wirklich? Wieso gerade Effenberg?
Er würde ideal zum FC Bayern passen. Er hat Sachverstand, er hat eine hohe Identifikation mit dem Verein. Und er ist unverbraucht. Er steht für die Ideale des Vereins, ist eine starke Persönlichkeit. Und er hat die natürliche Autorität, seine eigene Meinung auch im schwierigen Münchner Umfeld durchzusetzen.
Aber Stefan Effenberg hat doch noch nie als Trainer gearbeitet.
Das hatte Jürgen Klinsmann, bevor er Bundestrainer wurde, auch nicht.
Die Tür geht auf und der Fotograf David Drebin kommt herein, um sich zu verabschieden – in der Hand das Chelsea-Trikot, das Ballack ihm nach dem Fotoshooting geschenkt hat. Er solle es doch, bitte schön, für seine beiden Neffen Nick und Adam unterschreiben; Soccer sei bei Kindern in Kanada ja das Größte… Ballack lässt sich die Namen buchstabieren, unterschreibt sorgfältig. David verspricht noch, einige Fotoabzüge nach London zu schicken.
Mit 16 war Ihre Karriere ja eigentlich schon zu Ende – Knieoperation, ein Jahr Pause. Was ging damals in Ihnen vor?
Nach der Operation kam der Arzt zu mir ans Krankenbett. Ich war gerade aus der Narkose erwacht. Der Arzt sagte, alles sei gut verlaufen – aber das mit dem Leistungssport, das könne ich vergessen. Da sind Tränen geflossen.
Vergisst man diese Worte?
Nie. Für mich war in diesem Augenblick alles vorbei. Aber ich habe langsam wieder angefangen, mir Zeit gelassen, bin nicht so früh wieder eingestiegen – und habe seither keine Probleme mehr. Ich denke da nicht mehr dran. Ich hab auch keine Angst, dass es wieder passieren könnte.
Und Angst, einmal den Anforderungen nicht zu genügen?
Nein, sonst wäre ich nicht nach London gewechselt. Aber ich bin einfach neugierig und habe den Schritt gemacht, so wie damals von Kaiserslautern nach Leverkusen und von Leverkusen zu Bayern München. Ich war überall erfolgreich, es hat überall auch Spaß gemacht, ich habe mich wohlgefühlt in all den Städten – und trotzdem hat’s mich immer zu etwas Neuem getrieben. Ich brauche diese Herausforderung; wenn ich mich irgendwo durchgesetzt habe, möchte ich noch etwas anderes erleben. Zurückgehen kann man immer irgendwohin.
Auch zu Bayern München?
Diese Frage stellt sich nicht.
Es heißt, ohne Karl-Heinz Rummenigge hätten Sie das Bayern-Angebot angenommen und Ihren Vertrag dort verlängert…
Dass ich nicht erfreut war über die Art und Weise, wie er im Herbst 2005 bei der Jahreshauptversammlung aufgetreten ist, das ist klar, das hab ich auch schon des Öfteren gesagt. Ich bin jetzt bei Chelsea – und das ist gut so.
Franz Beckenbauer erklärte kürzlich, man würde Sie bei Bayern »schmerzlich vermissen«. Auch Bernd Schuster sagte, dass Ihr Weggang dem FC Bayern »sehr wehgetan« habe.
Tja. Was soll ich dazu sagen?
Es muss doch für Sie eine Genugtuung sein, solche Worte zu hören.
Nein. Genugtuung ist das falsche Wort. Ich habe in den vier Jahren mit dem FC Bayern dreimal das Double aus Pokal und Meisterschaft geholt. 2003, 2005 und 2006. Und ich weiß, dass meine Arbeit und mein Einsatz für den Verein immer geschätzt wurden, auch wenn das manche in der Öffentlichkeit vielleicht anders darstellten, aus welchen Gründen auch immer.
Sie haben einmal den schönen Satz gesagt: »Wenn ich zwei-, dreimal allein bei Uli Hoeneß im Büro gewesen wäre, dann hätte ich vielleicht unterschrieben. Deshalb bin ich gar nicht erst raufgegangen…«
Ich wollte eine unabhängige Entscheidung treffen. Uli Hoeneß ist ein Typ, der dich überzeugen kann. Das kann er einfach, das hat man auch als Spieler gemerkt, wenn er zur Mannschaft gesprochen hat. Er findet immer die richtigen Worte, ist ein emotionaler Typ, der die Leute packt. Er kümmert sich auch um das Umfeld, um die Familie oder was auch immer. Meistens erreicht er sein Ziel. Er lebt für diesen Verein, Uli Hoeneß ist der FC Bayern. Wir haben uns bei den Vertragsgesprächen natürlich unterhalten – aber nie allein, darauf habe ich geachtet.
Ist Chelsea ein einfacheres Umfeld für Sie?
Konzentrierter. Hier muss ich Fußball spielen und sonst nichts, eigentlich nicht einmal Interviews geben. Hier spricht der Trainer, sonst niemand. Der Zeitaufwand für Medienarbeit beträgt vielleicht zwanzig Prozent im Vergleich zu dem, was ich bei Bayern absolviert habe.
Wieder öffnet sich die Tür. Diesmal ist es ein etwa fünfzigjähriger Fan, Typ gemütlicher Familienvater, der offenbar über einen Überwachungsbildschirm im Barbereich gesehen hat, dass Ballack im Nebenzimmer sitzt. Wieder die obligatorische Bitte um Autogramme für die Söhne. Wie selbstverständlich unterbricht der Mann unser Gespräch. Ohne Entschuldigung. Genauso selbstverständlich steht Michael Ballack auf und schreibt. Als sich Ballack wieder setzt und fragt: »Wo waren wir stehen geblieben?«, da unterbricht der Mann erneut. Die deutschen Journalisten werden gebeten, Erinnerungsfotos mit seinem Handy zu machen – »wenn Sie bitte diesen besonderen Moment für mich festhalten würden«. Michael Ballack erhebt sich ein zweites Mal. Klaglos.
Na, ganz so ruhig ist es aber auch hier nicht, oder?
Sie sehen’s ja, es ist schon Betrieb. Aber die Fans sind sehr höflich, deshalb ist das kein Problem.
Michael Ballack, geboren am 26. September 1976 in Görlitz, gilt als einer der teuersten Fußballer der Welt. Er wechselte im Sommer 2006 von Bayern München, wo er je dreimal Pokal und Meisterschaft gewann, zum FC Chelsea. Sein Wochengehalt schätzt die englische Presse auf umgerechnet 190000 Euro. Ballack ist Kapitän der Nationalmannschaft und trägt dort – wie auch im Verein – die Rückennummer 13. Gefürchtet sind seine Kopfbälle, die den 1,89 Meter großen Mittelfeldspieler sehr torgefährlich machen. Michael Ballack ist Vater von drei Söhnen im Alter von fünf, vier und zwei Jahren, deren Namen Louis, Emilio und Jordi er auf die Zunge seiner Fußballschuhe sticken ließ.