Charlotte Gainsbourg ist gerade 40 geworden, hat die CD »Stage Whisper« herausgebracht, in der Jury der Berlinale gesessen und ihr drittes Kind bekommen. Die Tochter von Jane Birkin und Serge Gainsbourg hat zwei Halbschwestern, die von anderen Vätern sind.
SZ-Magazin: Frau Gainsbourg, als ich dem Taxifahrer eben erzählte, dass ich Sie treffe, sagte er: »Ach, Charlotte Gainsbourg. Alle Männer in Frankreich sind verliebt in sie, alle Frauen wollen sein wie sie.«
Charlotte Gainsbourg: Oh, das ist sehr schmeichelhaft.
Sie sind der Inbegriff der Französin. Können Sie mir etwas über diesen Mythos der französischen Frauen erzählen?
Ja, sie haben wirklich weltweit einen unglaublichen Ruf. Aber ich weiß nicht, ob der zeitgemäß ist, ob wir ihm noch gerecht werden. Eleganz gehörte ja dazu, eine gewisse künstlerische Attitüde, St. Germain. Ich glaube, es ist nicht mehr so.
Und doch, wenn ich durch Paris spaziere, sehe ich unglaublich viele elegante Frauen. Und sie sind es auf eine sehr entspannte, fast nachlässige Art.
Natürlich, verglichen mit amerikanischen Frauen zum Beispiel. Die stecken ja sehr viel Arbeit in ihr Äußeres. Ich finde es persönlich etwas over the top, ich mag Natürlichkeit lieber. Französische Frauen sehen gern gut aus, aber sie bemühen sich nicht so sehr. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist.
Da geht es oft um Bequemlichkeit. Viele Frauen haben zum Beispiel keine Lust, sich einen ganzen Tag in High Heels anzutun. Zu anstrengend.
Aha?
Wie französisch sind Sie eigentlich? Wie stark war der englische Einfluss Ihrer Mutter Jane Birkin?
Ich habe mich immer sehr angezogen gefühlt von der englischen Kultur, aber primär bin ich Französin. Französisch ist meine Muttersprache, ich fühle mich authentischer in Frankreich.
Sprach Jane Birkin immer Französisch mit Ihnen?
Ja, mit vielen Fehlern. Mein Vater verstand kein Englisch, und er wollte nicht, dass wir eine Geheimsprache haben.
Haben Sie Der Konflikt von Elisabeth Badinter gelesen?
Nein.
Darin beschreibt sie französische Frauen als Mütter, die sich weniger von diesem Zwang zur Natürlichkeit beeindrucken lassen als Frauen anderer Nationen. Sie haben weniger Hemmungen, nicht zu stillen, gehen sehr schnell wieder arbeiten nach der Geburt. Wie war das bei Ihnen?
Ich bin natürlich sehr privilegiert. Wenn ich arbeite, arbeite ich zwar viel, aber ich habe immer wieder Phasen, wo ich mich ausschließlich den Kindern widmen kann. Vor sechs Monaten hab ich mein drittes Kind gekriegt. Jetzt bin ich glücklich, dass ich mich einfach zurückziehen konnte. Aber noch mal, es ist eine privilegierte Situation: Ich muss nicht arbeiten, geldmäßig. Also kann ich ruhig warten, bis ein gutes Projekt kommt.
Wenn Sie arbeiten, nehmen Sie das Baby dann mit?
Ja, das habe ich schon mit den anderen Kindern so gemacht. Es hängt vom Film ab – zu Sachen wie Antichrist nehme ich sie nicht mit. Aber bei meinen Konzerten sind sie die meiste Zeit bei mir, ich muss nur ein bisschen schauen wegen der Schulferien. Meine anderen Kinder sind ja schon groß, 14 und neun.
Und dann noch eine Nachzüglerin. Ein großer Abstand!
Ich mag große Abstände.
Wie stark definiert Sie das Muttersein?
Ich mag es nicht, mich zu definieren. Ich habe ein Problem damit, mich als Sängerin zu sehen, genauso schwierig finde ich das Label Schauspielerin oder eben Mutter. Ich bin, wer ich bin, dank meiner Kinder. Sie haben meine Sicht auf die Welt verändert.
Wie?
Als mein Vater starb, war ich lange, lange Zeit am Boden. Dann kam mein Sohn auf die Welt, und ich konnte mich erstmals wieder auf das Leben konzentrieren. Mein Partner sagt auch, mein Gesicht habe sich dadurch verändert. Es sei offener geworden.
Aber geheiratet haben Sie bisher nicht. Warum?
Es gibt einfach keinen Grund für uns. Das Konzept bedeutet mir nichts. Ich wurde nicht dazu erzogen, vom weißen Kleid zu träumen, von der Zeremonie, im Gegenteil, Hochzeiten machen mich traurig.
Wieso traurig?
Ich denke immer, wie ist wohl der nächste Morgen? Man wacht auf nach der Party und: Wir sind verheiratet. Entsetzlich. Vielleicht hat es aber auch mit Aberglauben zu tun – es läuft so gut bei mir und meinem Partner, dass ich nichts ändern möchte.
Lesen Sie Erziehungsratgeber?
Nein, ich bin schlecht im Erziehen. Ich versuche eher, Dinge zu vermeiden. Zum Beispiel Fernsehen, Computer, Kaufzwang, all diese Sachen heutzutage, mit denen wir als Erwachsene einigermaßen umgehen können, aber für Kinder … Ich weiß nicht, auch Facebook und so – mir macht das Angst. Für die Kinder ist es natürlich ganz normal, aber ich bin misstrauisch. Ich bin altmodisch. Ich hänge an dem Gedanken, dass man miteinander redet und Bücher liest. Ich versuche also, sie davon abzuhalten, scheitere aber natürlich.
Was ist das Wichtigste, was ein Mädchen heute lernen muss?
Ich glaube, Mädchen sollten wissen, dass es Frauen nicht leicht hatten, dahin zu kommen, wo sie heute sind. So lernen sie auch, worauf sie ein Anrecht haben, worauf sie bestehen können.
Die Jugend weiß das Jungsein nicht zu schätzen
Szene aus dem Film »Antichrist«
Sind Sie eine Feministin?
In meiner Familie bin ich oft die, die sich auf die Seite der Frauen stellt, die hochhält, dass man stolz sein kann, eine Frau zu sein, dass Frauen stark sind. Aber ich finde, aktivistischer Feminismus hat oft etwas Lächerliches. Obwohl es durchaus Dinge gibt, für die wir noch kämpfen müssen.
Zum Beispiel?
Na, natürlich Lohngleichheit, die Möglichkeit, zu arbeiten und doch Kinder zu haben – es gibt noch vieles.
Sind Sie und Ihr Partner gleich eingebunden in das Aufziehen der Kinder?
Von der Verantwortung her schon.
Aber?
Er ist altmodisch, obwohl er jung ist. Aber es stört mich nicht, dass er zum Beispiel nicht gern in den Park geht oder kocht oder badet mit den Kindern, weil ich diese Sachen unheimlich gern mache.
Die Regisseurin Christine Vachon sagte mal, ihr falle auf, dass viele Schauspielerinnen ganz aufhören oder weniger ehrgeizig werden, wenn sie Kinder kriegen. Wie sehen Sie das?
Nun ja. Es gibt halt immer etwas, was Priorität hat. Bei mir war es zum Beispiel nie der Job, es war immer der Partner oder Verliebtsein oder so etwas. Und natürlich, wenn man Kinder kriegt, verschiebt sich der Fokus. Aber man kriegt beides hin, Job und Familie, und es bedeutet nicht, dass man weniger hart arbeitet. Im Gegenteil. Jetzt mache ich Filme nur noch, wenn ich wirklich enthusiastisch bin. Aber mir fällt auf, dass ein paar Schauspielerinnen, die ich sehr mag, von der Bildfläche verschwunden sind. Es kann allerdings damit zu tun haben, dass man in Amerika ab 40, 45 nicht mehr so viele Jobs kriegt. Da bin ich dankbar, dass ich Französin bin.
Ist es anders, mit Regisseurinnen zu arbeiten?
Ja, sehr. Das Spiel ist anders, die Verführung. Es hat etwas Komplizenhaftes. Weniger mysteriös als mit Männern.
So, und jetzt reden wir über Ihr Alter. Sie sind 40 geworden. Gut oder schlimm?
Ich hatte schreckliche Angst vor diesem Geburtstag. Ich habe mich die letzten fünf Jahre davor gefürchtet, vor dem Gewicht dieser Zahl, es war ein Albtraum. Meine Kinder haben mich die ganze Zeit aufgezogen, ich war wirklich sehr humorlos, was dieses Thema angeht.
Haben Sie gefeiert?
Nein, nein, gar nicht. Aber es ging ja dann. Ich musste feststellen: Es hat sich nichts geändert. Ich habe nicht über Nacht neue Falten gekriegt oder so. Es ist vollbracht, es ist okay. Was mir aber sehr geholfen hat, war, dass ich kurz davor noch ein Baby bekommen habe. Ich war abgelenkt.
Fühlt man sich jung, wenn man Mutter wird?
Absolut! Und das auch beim dritten Kind! Es ist ein Mysterium. Mit einer Geburt kommt so eine Naivität, eine Unschuld zurück. Man entdeckt das Leben wieder neu. Man lacht wieder viel, spielt wieder, man ist wieder jung.
Hat sich diese Schwangerschaft mit 40 von denen mit 25 oder 30 unterschieden?
Natürlich, jede war anders. Aber ich war jetzt nicht müder oder so, falls Sie das meinen. Ich habe mich fantastisch gefühlt, es war wunderschön. Ich habe sie auch ganz bewusst genossen, weil ich denke, es war vielleicht meine letzte.
Vielleicht?
Ich hätte gern noch ein Kind. Aber vielleicht bin ich dann doch irgendwann zu alt.
Haben Sie generell ein Problem mit Zeit, mit Vergänglichkeit?
Ja, sehr. Zeit macht mich nervös. Kinder, die so schnell groß werden, alles geht so schnell vorbei … ich möchte die Zeit anhalten.
Wie gehen Sie mit dem körperlichen Aspekt des Älterwerdens um?
Es ist schwer. Es gefällt mir nicht zu sehen, wie Menschen altern. Es macht mich traurig. Wenn ich einen 60-jährigen Schauspieler sehe, der sehr charmant sein kann, und ich weiß, wie er mit 30 aussah, dann macht mich das traurig. Ich finde Jugend einfach schön. Jugend hat auch einen hässlichen Aspekt, weil die Jugend die Jugend nicht zu schätzen weiß, aber mir gefällt diese Frische. Natürlich kann eine 40-Jährige auch sehr schön sein, aber es geht halt doch laaaangsam abwärts.
Dann muss es Ihnen sehr entgegenkommen, dass Sie offenbar für immer aussehen wie eine 15-Jährige.
Nein, nein, nein, das stimmt nicht. Das Schlimme ist, dass alle diese Klischees stimmen von wegen »Aber ich fühle mich so jung!« Ich fühle mich total jung! Aber ich sehe mein Alter durchaus. Das ist auch belastend als Schauspielerin, man muss sich ja die ganze Zeit anschauen. Beim Musikmachen kann man das Alter vergessen. Aber im Film oder bei Fototerminen – die ganzen Retuschen! Ich meine, es ist ja nett, ein bisschen was zu machen, ein paar Falten weg und so, aber jetzt sehen die Leute in den Magazinen aus wie tot. Es ist uns nicht mehr erlaubt, älter zu werden und ein eigenes Gesicht zu haben.
Gibt es irgendetwas Gutes am Älterwerden?
Du weißt langsam, wer du bist und was du kannst. Und was nicht.
Fotos: dpa (2)