»Unsere Seele öffnet sich, um etwas zu empfangen, das von irgendwoher zu uns gesendet wird«

Ein Interview mit dem südafrikanischen Jazz-Trompeter Hugh Masekela, der im Zuge seiner 50-jährigen Karriere nicht nur Nelson Mandela kennengelernt hat und mit Miriam Makeba verheiratet war, sondern auch zu weisen Ansichten über die spirituelle Urheberschaft von Musik gelangte.

Hugh Masekela bei einem Konzert im Jahr 2004.

Foto: Prakash Sing/AFP

Beim ersten Versuch hat es nur blechern in der Leitung gescheppert. Aber am nächsten Abend habe ich ihn dann zu Hause in Südafrika erreicht: den Trompeter Hugh Masekela, einen Wanderer zwischen den Stilen und Kontinenten, einen Pionier, einen Jahrhundermusiker.

Masekela wurde 1939 in Südafrika geboren, spielte ab Mitte der Fünfziger in diversen Jazzbands und konnte ab 1960 die Manhattan School of Music in New York besuchen. Aus Protest gegen das Apartheid-Regime ging er nicht nach Südafrika zurück, sondern blieb in den USA, wo er etliche Platten veröffentlichte, teilweise im Tandem mit seiner zeitweiligen Ehefrau Miriam Makeba. In dem Siebzigern lebte er in verschiedenen afrikanischen Ländern, darunter Nigeria und Botswana, 1990 kehrte er dann nach Südafrika zurück, wo er bis heute als Pionier bei der Verbindung von afrikanischer und amerikanischer Musik verehrt wird.

Herr Masekela, ich freue mich, heute mit Ihnen sprechen zu dürfen, ich bin schon lange ein Fan Ihrer Musik.
Es ist nicht meine Musik.

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Wie meinen Sie das?
Ich glaube nicht, dass ich irgendwelche Musik wirklich für mich beanspruchen kann. Wir alle finden Musik in unserer Umgebung, unserer Gesellschaft – und interpretieren sie dann. Aber sie gehört uns nicht.

Viele Leute werden das anders sehen.
Die meisten Menschen werden aus kommerziellen Gründen so manipuliert, dass Sie einen Künstler nur noch als Ware sehen, die gekauft und verkauft werden kann. Aber die einfache Wahrheit ist: Wenn man auf die Welt kommt, kann man noch keine Musik spielen. Aber die Musik ist schon da. Wenn man von ihr angeregt ist, lernt man zu spielen. Aber man kann sie nie sein eigen nennen.

Der Song »Sonnyboy« auf Ihrem neuen Album Phola handelt von einem kleinen Jungen, der ein großer Musiknarr ist. Sind Sie das?
Ja, der Song ist ein bisschen autobiografisch. Damit will ich Eltern Mut machen, ihren Kindern nichts aufzuzwingen, sondern sie bei dem zu unterstützen, was sie selbst gerne machen möchten. Meine Eltern habe sehr lange gebraucht, um meinen Berufswunsch zu akzeptieren. Um Musiker zu werden, musste ich von zu Hause weglaufen. Erst nachdem meine Eltern eine Platte gehört haben, auf der ich mit Musikern zusammenspielte, die sie selbst bewunderten, haben sie ihre Meinung geändert und mich zu unterstützen begonnen.

Gab es in den Vierzigern und Fünfzigern, als Sie aufwuchsen, viel Jazz in Südafrika?
Es gab alle möglichen Arten von Musik. Die Leute kamen von überall her in die Industriestädte und haben alle mögliche Musik gespielt: ländlich, rituell, spirituell. Es gab traditionelle Umzüge mit Trommeln und Tanz, Kinderchöre, Hochzeitsmusik. Und viele Leute hatten Grammophone, auf denen Schallplatten aus Amerika oder England liefen. Musik war überall, sie drang sogar durchs Fenster, wenn man im Bett lagt.

Und Sie als kleiner Junge waren ...
... verrückt nach Musik. Ich mochte nicht nur einen Sound, ich mochte eigentlich alles. Mit sechs habe ich Klavierunterricht bekommen, mit 13 habe ich dann beschlossen, auf Trompete umzusteigen, nachdem ich im Kino einen Film über den Trompeter Bix Beiderbecke gesehen hatte: Young Man With A Horn Mit Kirk Douglas in der Hauptrolle. Harry James hat den Soundtrack gespielt.

Gab damals es in Südafrika eine große Sehnsucht nach den USA?
Ja, aber für Afrikaner war es nahezu unmöglich, Südafrika zu verlassen. Sie haben keinen rausgelassen und keinen reingelassen, außer Wanderarbeitern und Hauspersonal. Sogar der US-Schauspieler Sydney Poitier musste sich als Hausangestellter des Regisseurs Zoltan Korda ausgeben, als er 1951 nach Südafrika reiste.

Haben Sie diese Sehnsucht selbst gespürt?
Ich wollte lernen, so zu spielen wie Louis Armstrong, Dizzy Gillespie, Harry James, Clifford Brown oder Miles Davis. Dafür musste ich, das war mir klar, in den USA studieren, und es gelang mir, 1960 nach New York zu gehen. Eigentlich wollte ich nach ein paar Jahren nach Südafrika zurückkehren und mein Wissen weitergeben. Doch dann wurden Freiheitskämpfer wie Nelson Mandela, Walter Sisulu und Andrew Mlangeni zum Tode verurteilt. Jeder, der konnte, floh aus Südafrika.

Haben Sie Nelson Mandela damals gekannt?
Mandela und ich sind in derselben Gegend aufgewachsen. Wir haben uns nicht wirklich gut gekannt, aber seine Eltern waren mit meinen Eltern befreundet. Seine Frau Winnie war eine Schülerin meiner Mutter.

Es muss sehr schlimm für Sie gewesen sein, aus der Ferne zu beobachten, wie sich das Apartheid-Regime ab 1960 immer stärker radikalisierte und die afrikanische Bevölkerung immer brutaler unterdrückte.
Ja, aber wir sollten nicht vergessen, dass Afrikaner überall auf der Welt wie Dreck behandelt werden. Es war nicht nur Südafrika. Als ich in die USA kam, wurden immer noch Afro-Amerikaner gelyncht und Kirchen in die Luft gesprengt. Schauen Sie sich um auf der Welt: In jedem Land, in dem Afrikaner leben, sind sie die ärmste Bevölkerungsgruppe.

Wie sind Sie in den USA empfangen worden?
Die Musiker haben mich schnell akzeptiert, aber richtig bekannt wurde ich erst, als ich auf einem gemeinsamen Album von Miriam Makeba und Harry Belafonte Trompete gespielt habe. Als ich 1968 den Hit »Grazing In The Grass« hatte, war das schon mein siebtes oder achtes Album.

Die Verbindung von Jazz, Funk und afrikanischen Einflüssen wurde zu Ihrem Markenzeichen.
Ich bin nicht ins Labor gegenagen und habe irgendetwas entworfen. Wissen Sie, Musiker denken in der Regel nicht besonders analytisch. Ich war ein sehr guter Allrounder, ich habe klassische Musik gespielt, ich habe Bebop und Swing studiert, ich kannte mich mit Folkmusik aus. Aber jeder war scharf darauf, von mir etwas über afrikanische Musik zu erfahren, und so kam ich schließlich dazu, Jazz mit afrikanischen Einflüssen zu mischen. Aber das hat sich ergeben. Wir glauben immer, wir könnten die Dinge steuern, die uns passieren. Ich glaube, unsere Seele öffnet sich, um etwas zu empfangen, das von irgendwoher zu uns gesendet wird.

Wann sind Sie zurück nach Südafrika gegangen?
Sechs Monate nach dem Ende der Apartheid. Ich habe eine riesige Familie mit mehreren tausend Verwandten, so wurde erstmal gefeiert. Dann habe ich eine viermonatige Tour gemacht. Das hat mir sehr dabei geholfen, mich wieder in die südafrikanische Gesellschaft einzufügen.

Auf Ihrem neuen Album Phola spielen sie nicht mehr Trompete, sondern nur noch Flügelhorn. Sie haben einen wunderbar sanften, transparenten Ton auf diesem Instrument!
Der Produzent hat gesagt, ich solle nicht gegen das Horn kämpfen. So kam der klare, einfache Sound heraus, der das Album prägt. Ich habe in den Jahren davor aber auch viel geübt.

Hinten im Album-Booklet bedanken Sie sich bei zahlreichen Musikern, die Sie inspiriert haben, darunter auch Bob Dylan. Das hat mich überrascht.
Warum?

Weil seine Musik wenig mit Ihrer gemeinsam zu haben scheint.
Es gibt nur sechs Akkorde, zwölf Noten und zwölf Tonarten. Als Kind liebt man Musik, aber man kategorisiert sie nicht. Bloß Erwachsene machen das. Für mich war das immer Quatsch. Ich bewundere Bob Dylan sehr, weil er vehement gegen Ungerechtigkeit eingetreten ist. Auf meiner nächsten Platte werde ich seinen Song »It’s All Over Now, Baby Blue« spielen.

Diese Woche sind Wahlen in Südafrika. Wie beurteilen Sie die politische Lage in Ihrem Heimatland?
Im Licht einer Person wie Obama, die die Leute zusammenführen will, ist es schwierig, noch Sympathien für Politiker zu empfinden, denen es nur um Posten und Positionen geht, und nicht ums Volk. In der südafrikanischen Politik, und im gesamten Afrika, gibt es leider zu viel Rachefeldzüge. Ich glaube nicht, dass das für Regierungen wichtig sein sollte.

Freuen Sie sich schon auf die Fußball-Weltmeisterschaft in nächsten Jahr?
Ich hoffe, dass sie ein Erfolg wird, aber Fußball interessiert mich nicht mehr besonders. Ich habe früher selbst Fußball gespielt, aber als sie das Elfmeterschießen eingeführt haben, habe ich das Interesse verloren.