Ich passe

Unser Autor ist in Kassel aufgewachsen, besitzt aber den türkischen und den niederländischen Pass. Nach 22 Jahren möchte er die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen - um mitzubestimmen, was mit seinem Land passiert.

Unser Autor hat den türkischen (und niederländischen) Pass, möchte aber den deutschen.

Derbe Sprüche sind nichts Ungewöhnliches am politischen Aschermittwoch, auch unsere Politiker sollen mal frei von der Leber reden dürfen. André Poggenburg von der AfD nutzte diese Gelegenheit vor ein paar Wochen, um große Teile der türkischen Gemeinde in Deutschland als Kümmelhändler und Kameltreiber zu bezeichnen. Nicht sehr freundlich, aber auch nicht sehr originell, da hat man schon ausgefallenere Beschimpfungen gehört. Trotzdem hat Poggenburg mich irgendwie erwischt. Er hat es geschafft, dass ich nachdachte über seine Worte. Ich fragte mich: Meint der damit mich? Hat er mich gerade beleidigt? (Kurze Erklärung: Ich besitze den türkischen und den niederländischen Pass, bin aber in Hessen aufgewachsen.) Und zwangsläufig schoss es mir wieder durch den Kopf: Wer bist du eigentlich, Serdar, und warum ist es so wichtig für dich, das zu wissen?

Serdar Arslan: Mein Name signalisiert den meisten Menschen, dass ich kein Deutscher bin. Für sie ist klar: Der Typ kommt aus der Türkei. Deshalb sagen sie dann so etwas wie: »Du bist ja deutscher als ich!« Das soll vermutlich ein Kompliment sein. Doch es ist ein bisschen komplizierter, als es aussieht.

Ich bin in den Niederlanden geboren, deshalb besitze ich den niederländischen Pass. Den türkischen Pass habe ich, weil meine Eltern aus der Türkei stammen. Ich bin aber seit meiner zweiten Lebenswoche in Kassel, also mitten in Deutschland, aufgewachsen. Für mich fühlt sich diese Stadt, die die meisten nur von der Durchreise mit dem ICE kennen dürften, nach Heimat an. Auf Kassel konnte ich mich in dem undurchsichtigen Dschungel aus Pässen und Identitäten immer verlassen. Es gibt nur leider ein Problem mit Kassel beziehungsweise Hessen: beides kann im Pass nicht als Nationalität auftauchen. Schade eigentlich.

Meistgelesen diese Woche:

Ich trage deshalb seit einiger Zeit diese Ahnung mit mir herum, dass sich etwas ändern muss. Dass ich, ganz offiziell, Deutscher werden sollte. Warum? Einerseits sehne ich mich nach dem Gefühl der Zugehörigkeit. Ich möchte nicht mehr mit der Daueraufenthaltskarte in meinem Portemonnaie rumlaufen oder eine amtliche Meldebescheinigung zu jedem Behördengang oder zu jeder Wohnungsbesichtigung mitnehmen müssen.

Andererseits hat mein Wunsch einen ganz pragmatischen Grund: Wer nicht deutscher Staatsbürger ist, darf bei den Bundestagswahlen nicht wählen. Und das fühlt sich nicht gut an in diesem Land, nicht bei dem, was politisch gerade passiert. Ich will das Recht haben, mitbestimmen zu dürfen, was mit mir, meiner Familie und meinen Freunden geschieht. Es wirkt unsinnig, auf das Recht zu verzichten, die Zukunft in diesem Land zu verändern. Denn nicht nur ich habe mich in den letzten 22 Jahren verändert. Auch Deutschland hat das getan.

Manchmal macht mir dieser Gedanke Angst, denn die Entscheidung ist groß, sie hat so etwas Absolutes. Die Staatsbürgerschaft ist ein Bekenntnis, nicht nur zu Kassel, nicht nur zu Hessen, sondern zu Deutschland. Aber es ist auch ein Bekenntnis zu einem Deutschland, das weltoffen und multikulturell ist, in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen leben können. So habe ich das hier erlebt. In meinem Deutschland.

Die Konsequenzen meiner Entscheidung fühlen sich umso komischer an, da ich bis heute keine wirkliche Verbindung zu meinen Pässen besitze. Sie sind nicht viel mehr als Papier und Plastik für mich. Dass mir der Abschied vom türkischen und niederländischen Pass trotzdem schwer fallen wird, weiß ich jetzt schon. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass ich diese Entscheidung so lange vor mir hergeschoben habe. Einmal hatte ich es tatsächlich schon gewagt, ins Bürgerbüro zu gehen und mich über den Wechsel der Staatsangehörigkeit zu informieren. Da erfuhr ich, dass ich eine Extremismusklausel unterschreiben muss. Ich bin dann erstmal wieder gegangen.

Und habe mich erinnert an die ein oder andere unterhaltsame Minute mit meinen zwei Pässen. Oft waren sie der Eisbrecher bei einem Smalltalk: »Ach, du heißt Serdar, cool. Woher kommst du denn?« Die Erklärung führte meist dazu, dass es schnell kein Smalltalk mehr war. Lustig war es auch, als mich ein Polizist bei einer Grenzkontrolle ständig auf Niederländisch ansprach - und sich wunderte, dass ich kein Wort verstand. Oder als ich beim Einlass in einen Club als »Käsekopf« bezeichnet wurde (okay, ob das wirklich lustig ist, sei dahingestellt).

Noch mal zur Frage vom Anfang: Muss ich mich jetzt von niveaulosen Äußerungen eines AfD-Politikers beleidigt fühlen? Ich finde: Jeder sollte sich von so einer Attacke auf eine Gruppe von Menschen angegriffen fühlen, ganz egal, gegen wen sie sich richtet. Das sage ich nicht als Türke, nicht als Deutscher und nicht als Niederländer. Sondern als Mensch.

Foto: DPA