Achtung, Knutschhühner

Die meisten Hühner fristen ihr Dasein in düsteren Legefabriken, doch einige wenige werden von exzentrischen Millionären als Haustiere gehalten. Dabei lauert aber, wie unser Autor weiß, eine ganz neue Gefahr.

Von all den Abermilliarden Hühnerleben, die je gelebt wurden und werden, wird das exzentrischste von einem Huhn namens Coco Chanel geführt. Das Huhn Coco Chanel befindet sich im Besitz der Schauspielerin Tori Spelling, die in Beverly Hills geboren wurde, durch die Serie Beverly Hills, 90210 bekannt wurde und auch in Beverly Hills lebt. Coco sieht aus wie ein Chihuahua-Hündchen, das im Körper eines Huhns geboren wurde, gehört aber der Rasse Silkie Bantam an. Es ist deshalb im Wesentlichen weiß und schläft in einem Hundekorb neben dem Bett der Familie, in dem sich verschiedene Kinder, ein Hund sowie dem Vernehmen nach von Fall zu Fall auch Ehemann Dean McDermott aufhalten. (Genaues weiß man nicht, seit das Paar in der Reality-Show True Tori seine Ehekrise feierte, nach deren Gründen man angesichts solcher Bettgewohnheiten nicht lange suchen muss.)

Coco trägt, wenn sie wach ist, laut Tori Spelling chicken sweaters, was man mit »Hühnerpullover« übersetzen könnte, auch some vintage pieces I made her, dazu, dem Anlass entsprechend, Schmuck, mit dem der Besitzerin abgestimmt. Mit dem Leben eines Normalhuhns in den Käfigen des bayerischen Hühnerschinders Pohlmann hat das von Coco etwa so viel zu tun wie das von Marie Antoinette mit dem einer Pariser Marktfrau des 18. Jahrhunderts.

Und da sind wir schon mitten in der aktuellen Problematik.

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Denn tatsächlich kommt die Haltung von Schmuck- und Schmusehühnern mächtig in Mode: Endlose Reihen von Schauspielerinnen, Exschauspielerinnen, Modellen und Exmodellen halten heute Hühner, Gisele Bündchen, Reese Witherspoon, Liz Hurley, auch Barbra Streisand gehören dazu, die übrigens Grünleger züchtet, das ist eine Hühnerrasse, die wahre Schmuckstücke von Eiern legt, »in einem eleganten Seladon-Grün gehalten« (Welt am Sonntag)! Julia Roberts Hühner heißen alle »Hühner«, nur eines heißt »Veronica«, und nicht selten sieht man in Illustrierten Fotos junger Damen, die in hennenfarbenen Kleidern mit Federschleppe und Gummistiefeln von Jean de la Poule Eier sammeln. Wobei hier der Hinweis erlaubt sein muss, dass man bei dem sehr teuren amerikanischen Kaufhaus Neiman Marcus für 100 000 Dollar einen Hühnerstall kaufen kann, der, vom Gestalterischen her, dem Schloss Versailles nachempfunden ist.

Was bedeutet das alles? Ist das Huhn der Hund von morgen? Werden wir mit angeleinten Hühnern in Straßen und Parks spazieren? Zum Frühstück unter ihren befremdeten Blicken das soeben gelegte Morgen-Ei essen? Kann es sein, dass den Hühnern eine Zukunft bevorsteht, die für die meisten von ihnen eine Schattenexistenz in vor der Öffentlichkeit verborgenen Massenställen vorsieht, für wenige aber ein Dasein als Accessoire von Oberschicht und Mittelstand: das Huhn als lebender Ausweis des eigenen Nachhaltigkeitstrebens, für den Landlust-Leser und Urban Farmer mit Breed Retreat auf dem Balkon? Dass man bald beim Sprizz auf der Terrasse über das sahnige Gefieder der Yokohama-Hühner, den Metallglanz der Langschan-Rasse und die brillanten Lege-Eigenschaften der Scots Greys oder der schwarzen Minorkas zu plaudern hat?

Und dass wir, mitten in der Stadt, vom ersten Schrei des Hahns erwachen, weil das Huhn der letzte Schrei ist?

Doch nun diese Nachricht: Aus den USA wird von vier Salmonellen-Epidemien berichtet, bei denen 181 Menschen erkrankten. 95 von ihnen wurden befragt. Von denen wiederum hatten 82 in der Woche vor dem Infekt Kontakt mit lebendem Geflügel. Kontakt? Die Leute küssten ihre Hühner! Auch in diesem Tier lauert also Bedrohung! Hunde beißen, Katzen kratzen, doch im Kuschel- und Kosehuhn wohnt die Salmonelle, das unsichtbare Wesen! Hier muss der Hühnerhalter vom Hundefreund lernen: Eilt ein Knutschhuhn auf einen Fremden zu, dessen Furcht vorm Durchfalltod sogleich sein Mienenspiel bestimmt, einfach die Zauberworte sprechen: »Es will nur spielen!« Dann ist bekanntlich jede Gefahr gebannt.

Illustration: Dirk Schmidt