Zu meinen Aufgaben im Leben gehört, die Familie mit Getränken zu versorgen. Ich stapele Kisten mit Mineralwasser, Bier, Limonade und Apfelschorle im Keller, trage dann in einer Einkaufstasche volle Flaschen nach oben, stelle sie in den Kühlschrank, bringe später die leeren Flaschen wieder in den Keller, wiederum volle nach oben…
So geht das seit Jahren. Ich bin ein Flaschen-Sisyphos.
Aber ich hasse den Keller. Er ist zu klein für die vielen Getränkekisten. Jedes Mal, wenn ich volle Flaschen hole, muss ich die schweren Flaschenbehälter umstapeln. Will ich ans Weinregal, muss ich mich verbiegen wie ein Schlangenmann, vorbei an Kartons mit alten Kinderklamotten, Reisekoffern und der Weihnachtskrippe.
»Bestell weniger Wasser, dann hast du Platz!«, sagt Paola. »Wozu brauchen wir einen Vorrat von zehn Mineralwasserkisten?«
»Mal was von der Schweinegrippe gehört?«, sage ich. »Wenn das Virus doch mutiert, können wir wochenlang nicht aus dem Haus. Mineralwasservorräte muss man immer im Haus haben, das ist ein Lebensgrundsatz. Was ich aber nicht verstehe: Warum wir im Keller drei alte Matratzen haben.«
»Ich weiß es nicht«, seufzt sie. »Aber wenn wir im nächsten Krieg ausgebombt würden, hätten wir es im Keller schön bequem. Genug zu trinken wäre auch da.« Ich las die Geschichte einer Frau in Tel Aviv, die ihrer alten Mutter eine neue Matratze gekauft hatte. Die gebrauchte Matratze (viele Jahrzehnte alt!) warf sie weg, während die Mutter nicht zu Hause war; die neue Schlafgelegenheit sollte ein unerwartetes Geschenk sein. Für die Tochter ihrerseits war es eine Überraschung, von der zurückgekehrten Mutter zu erfahren, dass sie in der Matratze ihre Ersparnisse aufbewahrt hatte. Eine
Million Dollar.
Die Tochter rannte auf die Straße, um die Matratze wieder zu holen, doch der Müll war weg. Sie fuhr mit dem Taxi zur Deponie. Es waren aber an
diesem Tag schon Tausende Tonnen von Müll auf Lastwagen umgeladen worden, die den Abfall ihrerseits zu größeren Mülllagern in der Wüste transportiert hatten. Die Frau klapperte Deponie um Deponie ab. Sie durchsuchte die Negev-Wüste nach einer Matratze. Nach ihrem Wertstoff.
Vergeblich. Vergeblich…
War uns nicht in der Finanzkrise geraten worden, unser Geld sei im Zweifel in Matratzen sicherer als bei Banken? Sollte dann aber nicht die Opelrettungsregierung auch für den Verlust von Geldmatratzen geradestehen, wie sie für die Bankeneinlagen garantiert?
Was lernen wir daraus? Man soll nie etwas tun, ohne seine Mutter zu fragen.
Gerade stelle ich mir vor, wie groß die Matratze wäre, die gewisse Fußballklubs mit den zig Millionen Euro füllen könnten, die sie aus Spanien für ihre Fußballspieler erhalten. Fußballfeldgroß! So was kann nicht verloren gehen.
Übrigens frage ich mich, wieso man nicht, bei solchen Erlösen, das Transferprinzip auf die Politik überträgt. Könnte man nicht durch rechtzeitigen Verkauf von vielversprechenden Jungs wie Baron zu Guttenberg etwas Geld in die Staatskasse spülen? Was hätte man seinerzeit für Sigmar Gabriel bekommen, als er noch etwas galt? Wie viel
für Schröder auf der Höhe seines Könnens? Und sollte sich nicht die SPD, um den Abstieg abzuwenden, ein richtiges As im Ausland einkaufen? Bill Clinton, er ist jung genug.
Noch was zu dieser Matratzengeschichte: Vor Jahren sah ich in der Zeitung das Foto eines Mannes, der auf einer riesigen Müllhalde stand und den gesamten Müll umgrub, nicht auf Matratzen-Suche, sondern nach einem Lottoschein fahndend. Der Schein hatte gewonnen, umgerechnet 880 000 Euro. Bloß leider hatte der Mann ihn versehentlich weggeworfen.
War das nicht ein Sinnbild unserer gesamten menschlichen Existenz? Suchen wir nicht alle immer wieder im Müll des Alltags nach dem Glück, und oft vergeblich?
Illustration: Dirk Schmidt