Bruno, mein alter Freund, ist einer von denen, die dauernd über zu viel Arbeit klagen, kaum komme er noch dazu, sich mal bei mir zu melden, keine Zeit, es tue ihm so leid, es müsse anders werden, er wisse das, aber der Stress, klagt Bruno, und man werde auch nicht jünger, man spüre die Last mehr als früher. Andererseits müsse man froh sein, wenn man gefragt sei. So redet Bruno.
Dann entdeckte ich Brunos Namen bei Facebook. Ich sah, dass Bruno eine eigene Facebook-Pinnwand hat, auf der er ständig irgendwelche Mitteilungen macht: bin im Hotel Sowieso abgestiegen, gratuliere Hinz zum Geburtstag, bin jetzt der Freund vom Kunz und so weiter…
Bruno hat keine Zeit für mich, weil er sich bei Facebook immerzu bei der ganzen Welt meldet, er möchte Teil von etwas Großem sein, er will, dass die Welt von ihm hört. Mark Zuckerberg gefällt das. Mark Zuckerberg ist Chef von Facebook. Jeder weiß, dass Facebook 50 Milliarden Dollar wert ist. Goldman Sachs hat 0,8 Prozent der Anteile von Facebook gekauft und dafür 450 Millionen Dollar gezahlt, das bedeutet, dass hundert Prozent 50 Milliarden sind. Auch das gefällt Mark Zuckerberg.
Facebook hat 500 Millionen Mitglieder, so ist jedes Mitglied hundert Dollar wert, das weiß ich aus dem Spiegel. Hundert Dollar sind 77 Euro. Mark Zuckerberg und andere haben durch Bruno 77 Euro gewonnen. Bruno hat deswegen mehr Stress und weniger Zeit für mich, seinen alten Freund, aber bitte, dafür weiß die Welt, in welchem Hotel er gerade sitzt, falls es die Welt zufällig interessiert.In der Zeitung las ich von einem Sonderangebot bei Lidl: ein Pfund Schweinehack für 1,39 Euro. Auch las ich, seit vergangener Woche koste es 1,95 Euro, wenn ein Kunde der Bank X am Automaten der Bank Y Geld abhebe.
Wenn ich also Geld abhebe, um mir ein Pfund Schweinehackfleisch zu kaufen, ist der Vorgang des Geldabhebens teurer als das Schweinehackfleisch selbst. Das gefällt der Bank, nicht wahr? Ich las weiter, dass einem Bahn-Kunden, wenn sich sein Zug um eine Stunde verspätet, 25 Prozent des Fahrpreises erstattet werden, sind es zwei Stunden, bekommt er 50 Prozent. Ein Ticket zweiter Klasse Berlin-München kostet bei der Bahn 116 Euro. Verspätet sich der Zug auf diesem Weg um zwei Stunden (das soll vorkommen), bekommt der Fahrgast 58 Euro. Ich fand heraus: Das durchschnittliche Schlachtgewicht für Schweine liegt in Deutschland bei 95,2 Kilogramm, Dioxin inklusive, aber das wiegt ja nichts. Zieht man das Gewicht der Knochen ab (das ist etwa ein Drittel), kommt man auf 63,5 Kilogramm. Das wären, in den Lidl-Hackfleischpreis umgerechnet, gut 176 Euro.
Das ist in etwa der Wert von drei zweistündigen Verspätungen zweiter Klasse mit der Bahn Berlin-München. Ein ganzes Schweineleben ist in Deutschland (rein preislich gesehen) gleich sechs Stunden Menschenleben – und ich rede, wie gesagt, von sechs Stunden zweiter Klasse. Mir gefällt das nicht. Irgendjemand muss dafür bezahlen. Das sind die Schweine, oder? Deshalb haben wir im Moment eine, marktwirtschaftlich gesehen, interessante Lage: Obwohl die Schweinefleischpreise niedrig sind, kaufe ich weniger Schweinefleisch. Das hat nicht mal was mit Dioxin zu tun. Eher mit Moral.
Davon werde ich Bruno berichten, via Facebook, wie es aussieht. Damit er es auch erfährt.
Übrigens gibt es auf der Welt knapp eine Milliarde Schweine. Sie sind, in Lidl-Hackfleischpreisen gerechnet, 175 Milliarden Euro wert, etwa 226 Milliarden Dollar oder: viereinhalb Mal die Firma Facebook. Das erlaubt zwei, drei Schlüsse. Entweder bedeuten uns die Schweine zu wenig. Oder die Firma Facebook zu viel. Oder beides.
Illustration: Dirk Schmidt