Das Beste aus meinem Leben

Auf Lesereise (IV): Einige Worte zur Frage, wie man sich verhält, wenn im Saal während der Lesung ein Handy klingelt. Ich sage: Das hängt von der Tagesform ab.Grundsätzlich: Was stört mich ein Handyklingeln im Publikum? Wenn Paola und ich ins Kino gehen, bleibt das Handy immer an, es könnte ja sein, dass der Babysitter ein Problem mit Sophie oder Luis hat. Natürlich stellen wir das Telefon dann auf Vibration. Natürlich vergessen wir das auch manchmal. Dann klingelt unser Handy, mitten im Film.Andererseits hat man manchmal schlechte Laune. Oder verhält sich unter seinem eigenen Niveau. Das sind die Tage, an denen man plötzlich, nur weil irgendwo ein Telefon bimmelt, sich mit der Masse gemein macht. Denn wenn man sich einer Sache sicher sein kann, dann dieser: Einer, in dessen Hosentasche während einer Lesung ein Handy klingelt, wird in dieser Sekunde zum totalen Außenseiter. Er hat keinen Freund mehr im Publikum. Man kann alles zu ihm sagen. Man kann ihn lächerlich machen. Man kann ihn verhöhnen. Man kann ihn des Saales verweisen. Man kann ihn von Ordnern hinaustragen lassen. Alles geht – und die Leute werden dazu klatschen. An solchen Tagen erwacht manchmal der Schröder in mir und ich sage: »Möchten Sie kurz rangehen?« Blökendes Gelächter. Glücklicherweise sitzt das Publikum meistens im Dunkeln, ich sehe die Leute nicht, auch nicht den, der nun mit rotem Kopf sein Telefon abzuschalten versucht.Der frühere Fernsehmoderator Lukoschik hat mal in der Münchner Olympiahalle ein Tennisspiel zwischen Pete Sampras und Patrick McEnroe, dem jüngeren Bruder von John, besucht. Bei Einstand, Aufschlag McEnroe und totaler Stille klingelte dann sein Handy – das von Lukoschik, meine ich, der nun das Telefon ergriff, aber plötzlich aufgrund einer Art Blackout nicht mehr wusste, wie man das Gerät ausmacht. Er stand auf, ringring, um die Halle zu verlassen, ringring, gab sich so allen Zuschauern zu erkennen, ringring, worauf McEnroe seinen Aufschlagball nach ihm schoss – die ganze Halle tobte längst in einem Pfeiforkan, während Lukoschik, ringring, einen Herzinfarkt ersehnend, zum Ausgang hetzte. (So steht es im Lexikon der prominenten Peinlichkeiten, herausgegeben von Bea Schnippenkoetter.)Einen ähnlichen Fall gab es vor einiger Zeit bei einer Lesung in München. Der Autor las, ein Handy ertönte, eine Dame zog es aus der Tasche, wurde des Tones nicht Herr, stand auf und rannte zum Ausgang, mit den Armen wie mit Flügeln schlagend, als wäre sie ein Albatros beim Start, die ganze Zeit in etwa dieses rufend: »Ich habe das Handy doch heute erst geschenkt bekommen… Ich habe es noch nicht einmal ausprobiert… Ich weiß nicht, wie man es ausmacht, ich weiß es einfach nicht.«Einmal habe ich selbst bei einer Lesung im Theater mein Handy angelassen, und zwar, als ich auf der Bühne war. Es klingelte, als ich eine Geschichte über Handys in den Ferien im Allgemeinen und Funklöcher in der Toskana im Besonderen gelesen hatte. Es war Luis. »Papa, weißt du, wo ich mein Lustiges Taschenbuch Nummer 108 hingelegt habe?«»Luis, ich kann jetzt nicht, hier sind lauter Leute…«Die Leute lachten vereinzelt.»Ich suche es schon die ganze Zeit…«»Dann lies doch jetzt ein anderes.«»Aber die anderen habe ich schon alle gelesen.«»Ist denn Mama nicht da?«Jetzt lachte der ganze Saal.»Ich weiß nicht, wo sie ist.«»Du weißt nicht, wo Mama ist?!«Vereinzelte Personen rutschten von den Stühlen vor Lachen.»Ja, doch, sie ist… Ich glaube, sie gibt gerade Sophie das Fläschchen.«»Warum schläfst du eigentlich noch nicht?«»Weil ich dieses Lustige Taschenbuch suche, das ich vor dem Einschlafen lesen will, und jetzt finde ich es nicht«, greinte er.»Luis, ich kann jetzt wirklich nicht mehr, ich helfe dir morgen, wir suchen dann zusammen, die Leute hier…« Die Leute hier rangen nach Luft vor Lachen. Ich brach das Gespräch ab. Nach Lesungen bekommt man ja oft Fragen gestellt, vor allem diese hier: »Inwieweit ist alles autobiografisch, was Sie schreiben?«Diese Frage wurde an jenem Abend nicht gestellt.