Wie geht man mit Angst um?

Dass viele Menschen derzeit Angst haben, kann man verstehen, findet Axel Hacke. Aber muss man sich ihr willenlos ergeben?

Dass viele Menschen derzeit Angst haben, kann man ja verstehen. Die Frage ist doch: Wie geht man mit der Angst um?

Leser K. schreibt mir, er sei im Sommer 2015 sehr dafür gewesen, die Flüchtlinge willkommen zu heißen, er habe Angela Merkels Entscheidung begrüßt. Aber nun? Er müsse feststellen, dass unter denen, die gekommen seien, auch solche seien, die uns ausnutzen wollten, Verbrechen begingen, Frauen verachteten, unsere Werte mit Füßen träten. Das habe er nicht gewollt, das wolle er nicht. Aber eben: Was nun? Er sei kein Nazi, er wähle nicht die AfD. Er fühle sich zerrissen »zwischen meiner alten Tradition als Linker und gelegentlich auch Grüner« einerseits und andererseits »dem tiefen Ärger über die zahlreichen Wirtschaftsflüchtlinge, die sich ebenfalls auf den Weg zur Willkommenskultur gemacht haben, und die Inkompetenz der Politiker, mit all diesen Problemen fertig zu werden«.

Mich beschäftigt der Brief. Warum? Weil ich erstens glaube, dass es vielen Leuten so geht; sie haben verständlichen Ärger und nachvollziehbare Ängste, aber deswegen wollen sie nicht als Rechtsradikale tituliert werden. Zweitens halte ich alles, was K. schreibt, für recht menschlich. Wir mögen es, anderen zu helfen, möchten aber nicht ausgenutzt werden. Wir sonnen uns gern im Empfinden, mitfühlend zu sein, aber wir möchten nicht deswegen unser Leben verändern.

Der Kulturwissenschaftler Fritz Breithaupt, der in Indiana/USA lehrt und ein Buch über Die dunklen Seiten der Empathie geschrieben hat, verglich das in der Welt mit unserer Anteilnahme am Höhlendrama in Thailand. »Das Anziehende am Schicksal dieser Jungen besteht genau darin, dass sie wieder zurückwollen – aus der Höhle raus, an die Oberfläche. […] Wenn sie da rauskommen, ist es zu Ende – dann brauchen sie uns und unser Mitgefühl nicht mehr. Das ist bei den Flüchtlingen natürlich ganz anders.« Bei denen gibt es eine Verpflichtung auf Dauer. Davor, meint Breithaupt, »scheuen wir uns sehr«.

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Könnte es sein, dass mancher von uns die Situation im Sommer 2015 für ein Höhlendrama gehalten hat und später kapierte, dass es keines ist?

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Ich halte es für arrogant, Menschen deswegen zu verurteilen, weil sie sind, wie sie nun mal sind. Der moralisch Überhebliche übersieht gern, wie sehr er selbst von seiner Überheblichkeit profitiert; er lebt besser im Gefühl des Besserseins, ohne Konsequenzen daraus ziehen zu müssen. Ich finde es auch gefährlich, weil jene, die das Gefühl haben, man sehe von der Moralkanzel auf sie herab, sich dieses Verächtliche nicht ohne Weiteres gefallen lassen. Damit haben wir gerade politisch zu tun.

Wie wäre es, wir würden, was wir erleben, als Herausforderung betrachten? Herr K. schreibt von der Bedrohung durch Migran­ten, mehrmals erwähnt er das Verbrechen in Kandel. Ich finde grundsätzlich solche Ängste einleuchtend: Weil Menschen nun mal sowieso Angst vor dem Fremden haben. Weil sie von Leuten, die diese Angst nutzen wollen, bombardiert werden mit entsprechenden Nachrichten, und es immer schwerer wird, sich diesem Gefühl zu entziehen. Wer da frei von Ängsten ist: Glückwunsch!

Die Frage ist: Wie geht man damit um? Ich finde es wichtig, sich zu erinnern, dass man sich Gefühlen nicht ergeben muss, sondern ihnen auf den Grund gehen kann. Bedeutet die Tatsache, dass in den Medien von einer Welle der Gewalt berichtet wird, dass es diese Welle der Gewalt gibt? Kennen nicht in Wahrheit die meisten von uns Kriminalität eher vom Hörensagen? Würde über jeden Fall der Integration eines Migranten (auch durch die nach wie vor beeindruckende zivil-praktische Hilfsbereitschaft so vieler seit 2015) so spektakulär berichtet wie über jede Bluttat, wäre dann noch vom Scheitern unserer Politik die Rede? Können wir den Anspruch erheben, unseren auf Export fußenden Wohlstand zu verzehren, ohne von jenen behelligt zu werden, die sich anderswo nach Wohlstand sehnen? Glauben wir wirklich, dass in einer von Migration geprägten Mensch­-heitsgeschichte ausgerechnet wir in der Zeit der Globalisierung damit nichts zu tun haben könnten?

Kurz: Hat nicht Problemlösung auch manchmal mit Veränderung der eigenen Sichtweise auf das Problem zu tun?