Charity ist aufgespritzte Wohltätigkeit und verhält sich zu herkömmlichen karitativen Formen wie die Lippen von Chiara Ohoven zu denen Mutter Teresas. In Deutschland ist der Begriff seit der Ernennung von Chiaras Mutter Ute Ohoven zur Sonderbotschafterin der UNESCO im Jahr 1994 geläufig: Seitdem bezeichnet »Charity«, eigentlich nur die englische Übersetzung des Wortes »Wohltätigkeit«, einen eigenen Zweig gemeinnütziger Arbeit – aufwändig inszenierte Spendenakquise im Milieu der »Society«.Nächstenliebe und Glamour bilden eine auf den ersten Blick unerwartete Allianz. Es ist nicht sofort ersichtlich, warum gerade die mehr oder weniger bekannten Gesichter aus Film und Fernsehen so häufig zu Galaveranstaltungen zusammenkommen, auf denen durch teure Eintrittskarten und Tombolalose Geld für Not leidende Kinder oder hilfsbedürftige Regionen gesammelt wird. Entdecken Prominente eher als andere Menschen ihre mitfühlende Seite? Fördert ihr vergleichsweise privilegiertes und ausgefülltes Leben eine Art karitatives Bewusstsein, das keinerlei Gleichgültigkeit gegenüber dem Unrecht auf dieser Welt mehr zulässt? In Interviews mit den so genannten Charity-Ladys und ihren generösesten Gästen ist genau das die Standardantwort. Mit geringfügigen Abweichungen wird immer wieder dieselbe Geschichte eines Erweckungserlebnisses erzählt, bei einem Rundgang durch die Krebsstation eines Kinderkrankenhauses oder bei einem Fernsehdreh in einem afrikanischen Land, im Zuge dessen das Wissen um die eigene Privilegierung schlagartig einsetzte sowie der feste Entschluss, etwas gegen Elend und Armut zu tun.Das ist der viel zitierte Ursprung von Charity: Leute auf der Sonnenseite des Lebens erkennen die moralische Notwendigkeit, denen im Schatten zu helfen. Vermutlich kommt man dem Sinn der Veranstaltungen aber desto näher, je mehr man ihren offiziellen Anlass vergisst. Denn man muss sich Charity eher als vollkommen selbstbezügliches System vorstellen. Mag sein, dass ein bestimmter Geldbetrag den Hilfsbedürftigen zukommt – aber in der Hauptsache wenden sich die Galas an die Beteiligten selbst: Sie dienen der Sinnstiftung saturierter Ehefrauenexistenzen (nicht umsonst betonen Charity-Ladys unermüdlich, wie leer ihr früheres Luxusleben war) und vor allem der Rückführung halb vergessener Prominenter ins Rampenlicht. Charity-Ereignisse, über die im Fernsehen und auf den einschlägigen Seiten von Bunte und Gala berichtet wird, erfüllen also tatsächlich einen karitativen Zweck: Sie sind eine Wohltat für die Anwesenden. Der Spendenbetrag des Schauspielers oder der Moderatorin, deren Karriere gerade stagniert, fällt weit weniger hoch aus als die Provision, die sie an eine neue Agentur hätten überweisen müssen. Und die hätte es bei allen Kontakten auch kaum geschafft, den neuen Klienten in Rekordtempo wieder in Marie Waldburgs Party-Ressort zu bringen.Gesellschaftliche Zusammenkünfte als Wohltätigkeitsaktion zu präsentieren ist die eleganteste Strategie zur Legitimierung von Aufmerksamkeit; wenn Geld gesammelt wird für konsensfähige Anliegen, dann darf man, dann muss man berichten. Auf den Charity-Tombolas feiert daher jeder ehemals oder halb prominente Loskäufer einen Hauptgewinn: ein Kameraauge, das auf ihn gerichtet ist. Deutlichstes Zeichen für die Selbstbezüglichkeit der Galas ist gerade die Art der Berichterstattung über die Veranstaltungen, die Selbstverständlichkeit, mit der »Charity« in den so genannten People-Magazinen zu einer festen Rubrik wie »Mode« oder »Film« geworden ist: Wohltätigkeit als Showdisziplin unter anderen. Was bei den Galas nach Abzug aller Ausgaben, der Flug- und Hotelkosten für die Prominenten übrig bleibt, erreicht vielleicht wirklich die Adressaten – aber das spielt in der Logik der Charity eine untergeordnete Rolle. Entscheidender Effekt sind nicht die Stromanlagen in afrikanischen Hospitälern, sondern die Energieschübe für die eigene Karriere.