Für den Stoffwechsel ist es lebensnotwendig, der Körper braucht es wie die Luft zum Atmen, und auch die Geschmacksnerven sind süchtig nach seinem Effekt. Trotzdem ist das Salz bescheiden geblieben. Auf Pommesbuden-Tresen und Kantinentischen steht es geduldig herum, verklumpt, verklebt und gering geschätzt, aber allzeit hilfreich und griffbereit. Im Supermarkt bekommt man es nachgeschmissen, das Kilo für 50 Cent. Chemisch gesehen, handelt es sich um 98-prozentiges Natriumchlorid, aber auch da steckt kein Geheimnis dahinter. Natriumchlorid reagiert immer gleich, egal wo es auftaucht. Streusalz für vereiste Straßen zum Beispiel wird künstlich ungenießbar gemacht, sonst könnte man damit auch einwandfrei seine Steaks salzen.
Völliger Unsinn, sagen an dieser Stelle die Salz-Gourmets, deren Zahl seit Jahren ständig zunimmt: Salz lasse sich, wie zum Beispiel auch Wein, nicht einfach auf seine chemische Substanz reduzieren. Den unterschiedlichen Techniken seiner Gewinnung, behaupten sie, kommt größte Bedeutung zu – genauso wie seiner handwerklichen Verarbeitung und der Lage der Herkunftsgebiete; was sich in subtilen, aber dennoch entscheidenden Geschmacksnuancen niederschlagen soll. Aber nicht nur das: Die industrielle Raffinade des Supermarktsalzes, seine Behandlung mit chemischen Rieselhilfen und seine Bereinigung von Spurenelementen raube ihm seine Seele und seine urzeitliche Kraft – weshalb es längst Ökosalze gibt, die zum Beispiel am Fuß des Himalaja aus dem Fels geschlagen werden und angeblich allein in der Lage sind, den gestörten Salzhaushalt des modernen Menschen wieder ins Lot zu bringen.
So geht der Szene-Berliner nun ins Restaurant »San Nicci« und bekommt zu Brot und Olivenöl eine Art Reagenzglas gereicht, in dem pfannengesiedete und handgeschöpfte Salzflocken von »Maldon Sea Salt« aus dem englischen Essex enthalten sind; Gourmetköche schwören auf »Fleur de Sel«, die kostbare Salzblume, die in Frankreich aus den Meersalz-becken der Guérande oder in Portugal an der Algarve gewonnen wird; Society-Caterer wie Kofler & Kompanie ergänzen ihre Buffets um eine sogenannte »Salz- und Ölbar«, wo die Brotkörbe von feinen Olivenölen und verschiedenen Luxussalzen umgeben sind. Und selbst die Mutter des Kolumnisten verreist nicht mehr ohne zwei Dosen »Lichtwurzel-Meersalz« mit dem Demeter-Siegel, wovon die eine meist zum Verbleib beim Gastgeber bestimmt ist – auch andere Menschen haben schließlich ein Recht, auf den Weg der salzigen Erleuchtung geführt zu werden.
Wer nun glaubt, hier spiele sich eine gewöhnliche chemische Verbindung unnötig auf, hier werde ein Allerweltsstoff, von dem es geschätzte 100 Billionen Tonnen auf der Erde gibt, von Geschäftemachern als Luxusprodukt verkleidet, der irrt. Das Salz erobert sich nur gerade eine Bedeutung zurück, die es in früheren Zeiten ganz selbstverständlich hatte. Damals war es ein knappes und kostbares Gut. Wo es aus dem Berg geholt oder aus dem Meer gewonnen wurde, blühte die Wirtschaft, ganzen Städten und Regionen gab es seinen Namen, Handelsstraßen entstanden für seinen Transport, Gesetze schützten das Privileg, mit ihm zu handeln – und seine Fähigkeit, Nahrung zu konservieren, erweiterte den Aktionsradius der Entdecker und Eroberer um Tausende von Kilometern. Noch 1930 inszenierte Gandhi seinen berühmten Salzmarsch, um das Salzmonopol der britischen Kolonialmacht zu brechen.
Es gab auch mal eine Zeit, nicht lang ist’s her, da diente Salz als reguläres Zahlungsmittel. Das Wort »Salär« erzählt noch heute davon, dass in manchen Gegenden der Lohn in »weißem Gold« ausgezahlt wurde. Eigentlich keine dumme Idee. Besonders in den Zeiten einer globalen Finanzkrise, wo der echte Goldpreis schon völlig verrückt spielt. Ich jedenfalls hätte für diesen Text gern zehn Kilo feinstes Himalaja-Salz – aber bitte in kleinen Brocken.
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