Es geht um die Zukunft der globalen Wirtschaftsentwicklung und des gesamtmenschlichen Zusammenlebens – aber hier und heute, im Einkaufsstress, geht es auch darum, warum der Verkaufsleiter des nächstgelegenen Media Markt uns in den Wahnsinn treibt. Nichts gegen ihn persönlich. Er tut, was er kann, und die Ordnung in seinem Media Markt ist sowieso nur ein Beispiel: für ein Kaufhaus mit sehr vielen Waren, das wir auf der Suche nach einem bestimmten Artikel betreten. Wir wissen also, was wir wollen. Die Zeit ist knapp. Kein Hilfspersonal weit und breit. Und schon tappen wir in die Falle: Wäre doch gelacht, wenn wir die CD für Onkel Rudi jetzt nicht selber finden. Es muss hier nämlich ein System geben; intelligente Menschen sind dazu da, Systeme zu verstehen, und am Ende der Suche sollte einfach nur ein erfolgreicher Kauf stehen – oder aber die Erkenntnis, dass Rudis Wunsch hier nicht erfüllt werden kann. Mehr wollen wir doch gar nicht.
Überflüssig zu sagen, dass der nächstgelegene Media Markt so nicht funktioniert. Das System, das es zu durchschauen gilt, ist mit »menschenverachtende Willkür« noch freundlich umschrieben. Steht die Gruppe Air bei Elektronische Musik, bei Rock/Pop oder bei Franzosen? Gehört Xavier Nai-doo – ja, den wollte Onkel Rudi haben, fragen Sie bitte nicht weiter – zu Soul, Schlager oder Deutsche Interpreten? Die Suche beginnt. Ein sofortiger Erfolg würde ungläubiges Staunen auslösen. Und ein endlich gefundenes Fach mit der Aufschrift »Naidoo«, in dem die gewünschte Platte nicht steht, heißt auch wiederum: gar nichts. Denn es gibt ja noch den »Aktionen«-Tisch. Das »Nice-Price«-Regal. Die Grabbelkiste. Also beginnt eine neue Suche – nach dem Verkäufer. Hat man den nach langen Qualen gefunden und vage Richtungsangaben wütend zurückgewiesen, trollt er davon und taucht irgendwann mit der ersehnten CD wieder auf. Die überreicht er uns. Wortlos genervt. Wo zum Teufel war sie? Wir fragen nicht mehr, dumm, hilflos und lächerlich, wie wir sind.
Suchen, denkt man da, funktioniert inzwischen doch eigentlich anders. Man tippt ein, zwei Worte in eine Suchmaske. Fehler sind durchaus erlaubt. Die Antwort dauert trotzdem nur Millisekunden. Meist führt sie an einen Ort, an dem man sowieso schon seine Kreditkarten-Informationen hinterlassen hat, weil es dort praktisch alles gibt. Ein weiterer Klick, und der Einkauf ist erledigt, die Ware auf dem Weg. Man fühlt sich smart, modern und effizient – und wenn jetzt noch die junge blonde Briefträgerin wirklich klingelt und in den fünften Stock hinaufschnauft, statt einfach nur einen Abholzettel in den Postkasten zu werfen, ist das Leben nahezu perfekt. Nebenbei gesagt meldet der Bundesverband des Deutschen Versandhandels, dass die Internet-Händler in Deutschland dieses Jahr zehn Milliarden Euro Umsatz machen wer-den. Das sind 35 Prozent mehr als letztes Jahr. Und 34 Prozent davon, da wetten wir, stehen wieder in direktem Zusammenhang mit Menschen, die schäumend von einer Suche in der sogenannten Wirklichkeit zurückkamen.
Diese Wirklichkeit hat von allem zu viel und doch erstaunlich selten das, was wir tatsächlich wollen. Wer darin sinnvolles Suchen ermöglicht, wer Menschen und Dinge, Menschen und Informa-tionen elegant zusammenbringt, wird bald so reich und mächtig sein wie jene, die Dinge oder Informationen herstellen. So sieht der Fortschritt aus, so soll es sein, im Übrigen ist es ja jetzt schon so. Wenn aber das Internet noch die letzte Nadel im letzten Heuhafen lokalisiert hat und nur noch nach den Kreditkarten-Daten fragt, um sie loszuschicken, werden wir irgendwann auch merken, dass der Postbote eines nicht liefern kann: das unbeschreibliche Gefühl, etwas Gesuchtes am Ende selbst zu finden. Vielleicht an einem völlig unwahrscheinlichen Ort. So wie neulich Beth Gibbons & Rustin Man. Eine Superplatte, dachten wir noch zwei Tage zuvor, und dann lag sie wie ein Geschenk des Himmels in der Grabbelkiste bei Saturn. Odysseus hatte weder Routenplaner noch GPS auf dem langen Weg nach Ithaka und Parzival war ein reiner Tor: Er kam gar nicht auf die Idee, den Gral zu googeln. Aber vom Glück des Findens konnten diese beiden am Ende nicht nur ein Lied singen, sondern ein ganzes Epos.