WM-Hubschrauber

Jede Spielübertragung bei dieser WM ist seit drei Wochen von den immer gleichen Bildern eingerahmt: Franz Beckenbauer, wie er unmittelbar vor Anpfiff auf seinen Tribünenplatz eilt und ihn fünf Minuten vor Ende wieder verlässt, um pünktlich beim nächsten Spiel zu sein. Beckenbauer – der Chef des Organisationskomitees, der Mann, der »die WM zu uns gebracht hat« – lässt sich bekanntlich per Hubschrauber durch Deutschland fliegen, um drei Viertel aller Partien live mitzuverfolgen. Das Argument für diese aufwändige Maßnahme ist natürlich die kürzere Reisezeit zwischen den Spielstätten. Mit keinem anderen Verkehrsmittel hätte der dichte Terminplan vor allem in der Vorrunde eingehalten werden können, wobei der große Vorteil des Hubschraubers nicht in seiner Geschwindigkeit liegt – 300 Kilometer in der Stunde bewältigen auch die neuesten ICE-Modelle –, sondern in seiner Unabhängigkeit von Streckennetzen und Verkehrsknotenpunkten. Er benötigt keinen abgelegenen Landeplatz und vermag noch in die feinsten Ritzen der Städte vorzudringen, während etwa das grobschlächtige Flugzeug weit vor ihren Toren Halt machen muss.

Für Beckenbauer hat der Hubschrauber also zweifellos praktische Relevanz. Die Inszenierung und Konsequenz seines Gebrauchs jedoch – er nutzt ihn auch jetzt noch, wo die Pausen zwischen den Spielen lang genug sind, um wie Fifa-Präsident Sepp Blatter mit dem Privatjet zu fliegen – lässt erahnen, dass es bei der Wahl dieser Fortbewegungsart auch noch einen symbolischen Anteil geben muss: dass das Bild des Hubschraubers Beckenbauers Status bei dieser WM auf geeignete Weise repräsentiert. Wie stark sich die Aura des Helikopters von der des Flugzeugs unterscheidet, wie wenig sich ein Privatjet auf dieser Mission eignen würde, zeigt etwa der Moment des Aussteigens. Beckenbauer, der direkt neben dem Stadion aus der kaum gelandeten Maschine hüpft, Krawatte und Sakko festhält (die Rotorenblätter drehen sich noch) und mit schnellen Schritten Richtung Stadion läuft: Was ist in dieser Szene – man kennt sie auch von Blitzbesuchen Bushs oder Rumsfelds in Soldatencamps – alles enthalten? Sie steht für Dynamik, Entschlossenheit, In-Bewegung-Sein und setzt einen völlig anderen Akzent als das Verlassen eines Flugzeugs, ein eher statischer Augenblick, der in der Nähe des Feierlichen, des Staatsakts liegt. Der Helikopterlandung, auf einem Fleckchen Wiese zwischen den Gebäuden, ist dagegen jedes Ritual des Empfangs fremd: keinerlei vorgeschaltete Räume wie Ausstiegstreppe, Landebahn, Terminal, nur ein Sprung zwischen Himmel und Erde.

Der Hubschrauber ist das Verkehrsmittel des Ausnahmezustands, des Mittenhinein. Seine Wendigkeit, sein Vermögen, fast jeden Ort in einen Start- und Landeplatz zu verwandeln, gibt Ankunft und Abflug eine einzigartige Form von Sichtbarkeit, deren Konsequenzen in einem Zeitungsbericht über Beckenbauer zu Beginn der WM beschrieben wurden. »Als der Anpfiff naht, richten sich die Blicke in den Himmel«, heißt es über den im Anflug begriffenen Hubschrauber. »Jetzt wissen auch die Fans, die nicht auf der Ehrentribüne sitzen: Franz Beckenbauer ist unter ihnen.«
In diesen beiden Sätzen ist fast alles über die Symbolik des Verkehrsmittels enthalten: Der Helikopter ermöglicht Beckenbauer, dem Herrn über dieses Turnier, seine Position immer wieder zu demonstrieren. Die Stadionkulisse ist allerdings kein bloßes Beiwerk der Fußball-WM, sondern zentrales Element der Hubschrauber-Ikonografie überhaupt, wie etwa Musikvideos und Konzertinszenierungen von Michael Jackson bis Guns N’ Roses zeigen. Erst im Verhältnis zur aufblickenden Menschenmenge kann sich die Machtgeste der Insassen vollends entfalten. Sichtbar für alle Zuschauer schwebt Franz Beckenbauer derzeit ein und wieder davon; zwischen den Spielen – in einer Flughöhe, die noch die konkrete Wahrnehmung der Umgebung zulässt – hat er nach eigenem Bekunden einen klareren Blick auf das Land als die Erdgebundenen: »Wir leben in einem Paradies, das sieht man ganz deutlich im Hubschrauber.« Franz Beckenbauer ist in den Wochen der WM endgültig zu einer gottgleichen Gestalt geworden. Der Helikopter ist seine Himmelsleiter.