Alles im Kasten

Chinas Designszene floriert und Li Naihan ist ihr heimlicher Star - weil sie eine gute Idee hatte, die jeder auf der Welt versteht: Wenn alles mobil wird, warum nicht auch die Möbel?

Die Kisten

Die Wende kam im vergangenen Jahr. »Da änderte sich mein Leben«, sagt Li Naihan. »Davor war ich einsam. Mit einem Mal lernte ich all diese Leute kennen.« Das hat auch mit ihrem Werk zu tun, ihrer ersten großen Arbeit als Designerin. »CRATES«. Kisten. Das ganze Haus steht voll davon. Früher war Li Naihan Architektin, baute, was die anderen verlangten. »Jetzt überlege ich, was ich selbst brauche. Dann baue ich das.« Einen Kühlschrank. In der Kiste. Ein Bett. In der Kiste. Einen Kicker. In der Kiste. Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer sind voller Möbel, die sich zusammenklappen und wegfahren lassen. Zwei Dinge, sagt sie, seien da zusammengekommen. Zuerst zog sie in Caochangdi ein, dem Künstlerdorf, das der Tausendsassa und Politrebell Ai Weiwei im Nordosten Pekings aus dem Boden gestampft hatte. Immer mal wieder gingen Gerüchte um, wonach der Abriss des Dorfes längst beschlossene Sache sei. Kurze Zeit später saß Li Naihan in einem Café in einer Mailänder Messehalle zwischen einem Haufen großer Kisten und Schiffscontainern. Sie dachte: Warum nicht einfach das ganze Leben einpacken? »Seit meiner Geburt wandere ich umher, von meinem Geburtsort Harbin nach Peking, dann nach London, dann wieder nach Peking. Ich möchte aber ein Heim haben.« Ihre Wandermöbel wurden die Stars der Pekinger Designwoche Ende 2011 und fanden sich in Blogs und Zeitschriften auf der ganzen Welt wieder. Endlich hatte jemand ein Möbelsystem fürs Nomadenzeitalter entworfen. Das Design Museum London nominierte sie als Designerin des Jahres. Und der Abriss kam nie. Caochangdi steht noch. Das Haus steht noch. Der Kistenkicker, der Kistenschreibtisch, das Kistensofa stehen noch. Li Naihan steht davor. »Hübsch sind sie nicht, die Kisten. Sollten sie auch nie sein«, sagt Li. »Ohnehin sehe ich Schönheit anders. Das Chaos, das Graue, das Trostlose – ich mag das. Das Leben ist hart. Ich bin aus dem Norden, aus der Mandschurei, wir sind da wie die Russen.«

Die Stadt

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Glück findest du auch in einem Dreckloch. Eigentlich brauchst du sogar eines, findet Li Naihan: ein Dreckloch, in das du ab und zu reinkriechen und wo du dich verstecken kannst. Wie gut, dass Peking das größte Dreckloch des Planeten ist. Gesund lebst du hier nicht, klar. Du atmest den ganzen Tag Gift und betrinkst dich am Abend. »Ich mag das.« In dem Lichthof am Rande des Wohnzimmers stehen drei schlanke, hohe Bäume. Die Blätter braun, die Äste trocken. Tot. »Eigentlich gefallen sie mir so besser«, sagt Li Naihan. »Die Textur passt gut in den Raum.« Zu den roten Ziegeln des nackten Mauerwerks, dem kühlen Grau des glatten Betonfußbodens, den sandfarbenen Kistenmöbeln.

Akzeptier einfach »die dunkle Bestie, die dich hier jagt«, sagt Li Naihan, dann kannst du auch in Peking ein fröhlicher Mensch sein. Sie gluckst, wenn sie lacht. »Warum sollte es mir nicht gut gehen? Ich bin zur rechten Zeit geboren. Ich bin am rechten Ort.« Peking. Wo die Nachbarn nicht komisch schauen, wie sie es in Shanghai tun würden, wenn du erst nachmittags um zwei aus dem Bett kriechst. Wo du es dir als junge Designerin leisten kannst, eine Werkstatt einzurichten, ein halbes Dutzend Arbeiter und Schreiner zu beschäftigen. Peking ist billig. »Ich liebe New York, Ich liebe London. Aber meine Freunde dort haben es unendlich viel schwerer. Das bringt viele Leute dort um. Dieser Teil der Welt aber ist im Aufstieg begriffen.«

Die Architektur

Li Naihan war vier, als sie nach Peking kam. Geboren wurde sie in Harbin, da kann man schon fast nach Sibirien spucken. Der Vater Komponist beim Film, die Mutter Balletttänzerin. Sie wuchs auf zwischen Schauspielern und Künstlern. Das Studium absolvierte sie in England, an Londons Bartlett School of Architecture. 2004 ging sie zurück nach Peking. Die Olympischen Spiele 2008 standen bevor, Architektur erlebte einen Boom, Li Naihan fand schnell Arbeit. »Ich habe vor fünf Jahren mehr Geld verdient als heute«, sagt sie. »Aber ich hatte bald keine Lust mehr. Bau schnell und billig, das ist hier die Mentalität. Dann hatte ich Glück: Ich ließ mich verführen von der Kunstszene.« Sie ist inzwischen 32. Erfolgreich, sagen andere, glücklich, sagt sie selbst. Ein paar Hundert ihrer Stücke pro Jahr verkauft sie im Moment, die meisten Kunden sind Chinesen, jüngere, wohlhabende. Der Kicker läuft besonders gut. »Reich bin ich nicht. Hauptsache, meine Werkstatt trägt sich, das ist schon der erste Schritt.«

Das Labor

Li Naihan liebt nicht nur tote Bäume und untote Städte, sie liebt es, andere um sich herum zu haben. Freunde, Gleichgesinnte. Ihre Werkstatt, fünf Arbeiter und drei Schreiner, teilt sie mit anderen, auf der gegenüberliegenden Seite des Hofs hat sie soeben ein Studio eingerichtet. Sie nennt es »Tech-Lab«, ein Labor, das Arbeitsplätze für ein halbes Dutzend Leute beherbergt: Web-Designer, Künstler, Fotografen, wer auch immer gerade Obdach sucht. »Wir Kreativen leben gerade in einer verrückten Ära des Wandels«, sagt Li Naihan. »Neue Technologien, neue Materialien: Wir erleben gerade eine dritte industrielle Revolution. Ich kann so viel lernen von den Leuten hier.« Maler, Bildhauer, Aktionskünstler waren anfangs die Bewohner von Caochangdi, das hat sich ein wenig geändert, das Künstlerkollektiv ist offener, durchmischter als vorher: mehr Designer, mehr Ausländer. »Die öffentlichen Räume, die Plätze, an denen man sich austauscht, die fehlen in Peking total«, sagt Li Naihan. »Für mich ist nun unser Labor dieser Raum.«

In ihren neuen Arbeiten schrumpft sie die Welt auf Schlafzimmerformat. Da steht ein großes fünfeckiges Bett aus brasilianischem Mahagoni, aber wenn man genau hinschaut, dann steht da das Pentagon, Amerikas Verteidigungsministerium, groß genug für mindestens zwei Schläfer. »Ich dachte, wieso nicht einfach die großen Gebäude der Welt eindampfen?« Sie gießt nun auch Kerzen, schlank und weiß, Modelle der großen Wolkenkratzer im Maßstab 1:1000. Das Empire State Building steht da neben dem Taipei 101, der Berliner Fernsehturm neben dem Shanghaier Jinmao. Lustig sei das, sagt Li Naihan, die Welt an einem Fleck zusammenkommen zu sehen. World Peace also? Nicht ganz: »Ich hasse Hochhäuser«, sagt Li Naihan. »Es macht mir große Freude, sie anzuzünden und schmelzen zu sehen.« Glück in Peking? Ist auch, wenn man ein wenig Rache nehmen kann am Moloch Stadt.

Foto: Tony Law (1)