1. Man soll endlich mit dieser Ostalgie aufhören, die nervt schon seit zwanzig Jahren.
Falsch: »Wäre nach der Wende ein Konzern wie Muji aus Japan gekommen und hätte die Design-Schätze der DDR gehoben und ähnlich liebevoll aufbereitet, wie es Manufactum in seinen Katalogen gemacht hat, dann wäre gutes DDR-Design heute weltweit gefragt«, behauptet Matthias Kanter, ein Maler, der in Schwerin ein Geschäft und einen Internetversand für neues und altes Ostdesign betreibt, beide heißen form-ost. Kanter hat mindestens zwei Mitstreiter: Florian Hufnagl, den Leiter der Neuen Sammlung der Pinakothek der Moderne in München, der in den verschiedenen Archiven der Neuen Sammlung seit der Wende DDR-Designerstücke sammelt und auch ausgestellt hat, und Günter Höhne, früher Chefredakteur der einzigen DDR-Designzeitschrift form+zweck, der Bücher über DDR-Produktkultur schreibt und ebenfalls Sammler ist. Matthias Kanter sagt auch, er habe überhaupt nichts gegen neue Entwürfe. Nur sollte man doch zuvor die alten prüfen, es lägen noch wahre Schätze aus DDR-Zeiten als Prototypen in den Archiven, die aus Materialmangel nie produziert wurden – vielleicht seien die ja nicht zu verbessern.
2. In der DDR haben sich die Designer doch alles von uns im Westen abgeschaut.
»Alles Käse«, schimpft Florian Hufnagl von der Neuen Sammlung. West wie Ost bezogen sich auf das Bauhaus. Im Westen, an der Ulmer Hochschule, war mit Max Bill ein Bauhaus-Absolvent Rektor, in der DDR leiteten Mart Stam und Walter Funkat, beide ebenfalls Bauhaus-Schüler, die Kunsthochschulen in Berlin-Weißensee und Halle. Auch viele andere Bauhaus-Schüler lehrten nach 1945 weiterhin in der DDR und bildeten Studenten aus. Aus Mangel an Material, der in der DDR herrschte, folgte ja nicht zwingend ein Mangel an Kreativität. Aber einem Staat, der immer zu wenig Rohstoffe zur Verfügung hatte, kamen die Leitgedanken des Bauhauses, die Reduktion aufs Wesentliche, freilich entgegen. Natürlich aber fanden ostdeutsche Designer westdeutsche wie Dieter Rams toll.
Auch Autos haben sich nicht an westlichem Design orientiert, wenngleich aus anderen Gründen: Es war vollkommen ausgeschlossen, Trabant und Wartburg in Konkurrenz zu BMW oder Mercedes zu stellen. Weil aber die Vorstellung von gutem Design bei den meisten Menschen, West wie Ost, fast immer durch Autos geprägt wird, schämten sich viele DDR-Bürger des Ost-Designs, nicht nur wegen der Autos. »Wären beispielsweise Kräne Maßstab für gutes Design, dann wäre die DDR Design-Weltmeister gewesen«, sagt Matthias Kanter von form-ost.
3. Design war kein Wert an sich in einer Mangelwirtschaft.
Die DDR war arm, aber nicht sexy. Falsch: Als die vielgerühmte Hochschule für Gestaltung in Ulm 1953 gegründet wurde (schon 1968 wieder geschlossen), gab es in der DDR bereits seit 1947 die Kunsthochschule Berlin-Weißensee und die Hochschule für Werkkunst in Dresden. Die berühmteste Hochschule der DDR für Design – offiziell: industrielle Formgestaltung – jedoch war Burg Giebichenstein in Halle. Über die sagte in den Sechzigerjahren der finnische Designer Tapio Wirkkala, der mit seinen Entwürfen für die Glasfabrik Iittala bekannt wurde, dass man die beste Ausbildung der Welt in Design auf Burg Giebichenstein bekomme. Wirkkala kannte DDR-Design. Für ostdeutsche Designer war es jahrelang einfacher, nach Skandinavien zu reisen als in die Bundesrepublik. Und Günter Höhne, ehemaliger Chefredakteur von form+zweck, sagt in einem Interview: »Was in Ulm ab 1958 gemacht wurde, war in Weißensee schon seit 48 angedacht und teilweise praktiziert worden.«
4. Wenn die DDR so schöne Produkte hervorgebracht hat, müsste man doch wenigstens ein paar Klassiker kennen.
Falsch: Nach Meinung von Experten stammen die schönsten Entwürfe des DDR-Designs aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Problem: Beide deutsche Staaten schrieben in den Fünfzigern »Made in Germany« auf ihre Exportgüter, nur eingefleischte Kenner wussten also, aus welchem Teil Deutschlands ein Produkt stammte. Florian Hufnagl von der Neuen Sammlung in München leckt sich heute noch die Lippen, wenn er Fotos der eleganten Holzmöbel sieht, die Franz Ehrlich 1956 für die VEB Deutsche Werkstätten Hellerau entworfen hat. »Schön, oder? Sind die nicht wunderschön?« Auch Ehrlich war Bauhaus-Absolvent aus Dessau. Am ehesten kennt man die Kameras von Carl Zeiss oder Praktica oder den Handstaubsauger »Omega«, die es leicht mit der westlichen Konkurrenz aufnehmen konnten. Kenner halten übrigens die Koffernähmaschine »Freia« von Ernst Fischer aus dem Jahr 1948 für die schönste Nähmaschine der Welt.
Einschränkung: In den Siebziger- und Achtzigerjahren mussten viele DDR-Fabriken für den Export produzieren. Der Staat brauchte Devisen, der Westen bekam billige Waren. Neckermann und Quelle ließen viele Produkte in ostdeutschen Fabriken herstellen und Ikea seine Billy-Regale. Meist blieben für den ostdeutschen Markt nur Waren zweiter und dritter Wahl übrig, was den Stolz der Bürger auf ihre Produkte nicht mehrte. Seit den Siebzigerjahren ähnelten heimische Staubsauger, Messer oder Föhne zunehmend denen westdeutscher Firmen. Der Grund: Sollte ein Staubsaugerhersteller einen Exportauftrag ergattern, musste man nur noch das westdeutsche Versandhausschild draufpappen.
5. Wenn die DDR so tolle Designer ausgebildet hat, müsste man doch ein paar davon kennen.
Falsch: Designer blieben ungenannt, die Anonymität des Kollektivs war heilig. Die kollektive Formgestaltung hat Designer wie Hedwig Bollhagen (Keramik), Hubert Petras (Gefäßdesign) oder Margarete Jahny (Hotelgeschirr »Rationell«) in der Anonymität verblassen lassen. Schon mal von Renate Müller gehört? Nein? Die New York Times schon. Die Zeitung schrieb vor einem Jahr eine große Geschichte, als Müllers therapeutische Spieltiere in der R20th Century Gallery in Tribeca gezeigt wurden; die stellt sie seit Mitte der Sechzigerjahre her, alle riesig, alle in Handarbeit genäht, manche mit dem Gewicht des lebenden Vorbilds und alle umwerfend einzigartig. 1976 wurde die thüringische Spielzeugfirma in Sonneberg, in der sie arbeitete, Staatseigentum. Auch Renate Müllers Entwürfe gehörten nun dem Staat. Nach dem Mauerfall kaufte sie die Rechte an ihren Entwürfen zurück. Die meisten Tiere liefert sie inzwischen nach Japan.
6. Gutes Design findet Nachahmer, DDR-Design nicht.
Falsch: Typisch nordisches Design kommt oft aus Halle. Ikea verkauft seit Jahren Lampen, die in der DDR erdacht wurden: Um Energiekosten zu sparen, musste in der DDR die Produktion von Heizsonnen eingestellt werden. Die Firma »Hallesche Metalldrücker« schraubte daraufhin Glühbirnen statt Heizstrahler in die Metallteile der Heizsonnen, hängte die Geräte an die Decke und nannte sie Lampen. Gemeinsam mit der benachbarten Hochschule für Formgestaltung, Burg Giebichenstein, entwickelte die Firma zahlreiche weitere Lampen, vielfach mit Designpreisen bedacht und bis heute bei Ikea im Sortiment. Oder: 1985 hatten zwei Designer eine steckbare Leuchte »Clip Clap« aus Kunststoffteilen entworfen, die jedoch kein DDR- Unternehmen je produzierte. Einer der beiden Designer entdeckte 1998 auf der Frankfurter Messe »Tendence« seinen Entwurf bei der italienischen Firma Slamp. Er hat sich dann mit dem Unternehmen auf die Urheberschaft geeinigt.
7. Außer dem Sandmännchen und dem Abbiegepfeil hat doch kein DDR-Produkt die Wende erfolgreich überstanden.
Das hätte nach der Wende fast gestimmt, ändert sich aber gerade. So stellt seit 1994 Kahla wieder Hotel- und Haushaltsporzellan her, und seit 2011 wird in Thüringen wieder die Schwalbe gebaut, das berühmte Pendant zur Vespa, jetzt als Elektroversion; Nomos-Glashütte-Uhren gibt es noch und vielleicht besser denn je; und vor allem hochwertiges Kinderspielzeug wie den Schaukelwagen von Hans Brockhage, der rollen, schaukeln und wippen kann. Er wird so aufwendig in Handarbeit hergestellt, dass er 390 Euro kostet. Viel Geld, aber zu DDR-Zeiten gab es ihn in jedem Kindergarten. Heute wird er, wie anderes gutes Holzspielzeug, vor allem nach Japan exportiert.
Fotos: Andreas Lux