Danke, aber wir kaufen nichts!

Darf man die Abkürzung durch ein Kaufhaus nehmen, wenn es kalt und windig ist - obwohl man nichts kaufen will? Unser Moralkolumnist ist gespaltener Meinung.


»Wir wohnen sehr zentral und erledigen daher viele Einkäufe zu Fuß. Wenn es kalt und windig ist, nehmen wir dabei gern eine aufwärmende ›Abkürzung‹ durch ein auf dem Weg liegendes großes Kaufhaus. Nicht zum Kaufen, Schauen oder Bummeln, wir wollen wirklich nur der Kälte ausweichen. Ist das geschickt oder bedenklich?« Thorsten D., Köln

Abkürzungen, muss ich gestehen, stehen bei mir schon fast unter Generalverdacht. Sie sind per definitionem Abweichungen vom regulären Weg und dienen dazu, es sich einfacher zu machen. Beides ist auf dem Gebiet des richtigen Verhaltens tendenziell bedenklich.

Die moralische Grundüberlegung der Universalisierung »Was wäre, wenn das alle machen würden?« scheint geeignet, die Bedenken noch zu verstärken: Ich stelle mir vor, dass dann im Kaufhaus ein Gedränge, Geschiebe und Gehetze herrscht, das geeignet ist, reguläre Kunden zu vertreiben. Allerdings ist das meine Vorstellung, und um diese zu prüfen, habe ich mit dem Pressesprecher einer großen Kaufhauskette gesprochen. Der aber antwortete mir auf die Frage »Was wäre, wenn das alle machen würden?« mit: »Das wäre wunderbar.« Funktionsgrundlage eines Kaufhauses sei, erklärte er mir, zunächst möglichst viele Menschen dazu zu bringen, es zu betreten.

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Die Menschen könnten, aus welchen Gründen auch immer, zum Aufwärmen oder im Sommer zum Abkühlen, ins Kaufhaus kommen. Dann sei es die ureigenste Aufgabe der Kaufhäuser, diese Besucher dazu zu bringen, auch etwas zu kaufen, indem sie ihnen etwas bieten und so darbieten, dass sie es haben wollen. Gerade in Zeiten des zunehmenden Onlinehandels und der mancherorts verödenden Innenstädte würden Kaufhäuser jeden zusätzlichen Besucher als potenziellen Kunden begrüßen. Wenn Besucher ein Kaufhaus als Abkürzung oder Wärmestube nutzen und nichts kaufen, würde das Kaufhaus etwas falsch machen und nicht die Besucher.

Komplett überzeugt mich das aber nicht. Meines Erachtens setzt es voraus, dass die Abkürzer wenigstens grundsätzlich bereit sind, sich von dem Angebot überzeugen zu lassen. Oder es zumindest nicht kategorisch ausschließen. Dann erst wird es ein Deal.

Literatur:

Zur Universalisierung: John Leslie Mackie, Ethik. Die Erfindung des moralisch Richtigen und Falschen. Reclam Verlag, Stuttgart 1981. Dort insbesondere Kapitel 4: Universalisierung, S. 104-130.

Dieter Birnbacher, Analytische Einführung in die Ethik, Walter de Gruyter Verlag, Berlin, 2. Auflage 2007 Dort insbesondere S. 31ff., 409ff.

Rainer Wimmer, Universalisierung, in: Marcus Düwell, Christoph Hübenthal, Micha H. Werner, Handbuch Ethik, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart 2002, S. 517-521.