Die Gewissensfrage

»Gegen den Willen meiner Partnerin habe ich Ende letzten Jahres ein bedrohtes Unternehmen übernommen, weil ich glaube, es mittelfristig durch hohen Arbeitsaufwand retten zu können. Diese Zeit fehlt mir nun für Partnerschaft und Kinder, was zu immer heftigerem Streit führt. Soll ich also weniger Zeit für mein Unternehmen verwenden, obwohl 37 Arbeitsplätze sowie mein eigenes finanzielles Schicksal auf dem Spiel stehen? Oder soll ich weiterhin meine Familie vernachlässigen, mit dem Erfolg, dass ich vielleicht bald keine mehr habe?« GÜNTHER K., MÜNCHEN

Sie befinden sich in einem geradezu klassischen Konflikt zwischen mehreren moralischen Verpflichtungen: Auf der einen Seite sollen Sie sich natürlich um Ihre Familie kümmern. Auf der anderen Seite steht das Überleben Ihrer Firma, an der eine Vielzahl von Schicksalen hängt. Auch hier ist Ihr Handeln gefordert. Versucht man nun, diesen Konflikt mit Hilfe von klassischen Werkzeugen wie der goldenen Regel, dem kategorischen Imperativ oder auch der Frage nach dem größten Glück für alle Beteiligten zu lösen, sieht man schnell: Damit lässt sich nur feststellen, dass bei beidem richtig ist, es zu tun, falsch dagegen, es zu lassen. Der Hannoveraner Sozialphilosoph Detlef Horster schreibt, dass die Moralphilosophie in derartigen Fällen keine konkreten Ratschläge geben könne. Sie kann aber helfen, so Horster, mit Hilfe der Betrachtung von Pflichten die Konfliktlinie in der Entscheidungssituation scharf herauszuarbeiten. Macht man sich daran, so sieht man, dass die Grenze gar nicht zwischen Arbeit und Familie verläuft. Denn zu Ihren Pflichten als Vater gehört nicht nur Zuwendung – sondern auch wirtschaftliche Sicherung. Zugespitzt ausgedrückt: Hartz IV bezeichnet kein familiensoziologisches Ideal. Es spricht also auch aus dieser Warte manches für die Plackerei, doch können die finanziellen Aspekte deshalb keinen generellen Vorrang beanspruchen. Hohes Gewicht hat am Ende der zeitliche Faktor: Es stellt für alle einen Verlust dar, wenn man zu wenig füreinander da ist. So wie Sie es schildern, soll diese Zeit jedoch vorübergehend sein; anders der wirtschaftliche Schaden, der auf Dauer bliebe. Das senkt die Waagschale ziemlich weit zugunsten der Arbeit.Und dass Sie die Firma gegen den Willen Ihrer Partnerin übernommen haben? Allein zu entscheiden war vielleicht falsch. Sich nun darauf zu berufen wäre es aber ebenso. Es gehört zum Wesen und zu den Chancen einer Partnerschaft, schwierige Situationen gemeinsam zu meistern. Schuldzuweisungen, egal in welche Richtung, helfen nicht weiter. Und noch eine Gewissensfrage:»Nach dem Essen bei Freunden oder Verwandten bleibt oft eine Menge übrig und man wird gebeten, etwas mitzunehmen. Die Reste werden in Vorratsdosen verpackt, die man beim nächsten Treffen wieder zurückgibt. Wenn dies aber einige Zeit dauert, verwende ich die Dosen in meinem eigenen Haushalt. Sollte ich sie reinigen und bis zur Rückgabe wegstellen oder kann ich sie vorübergehend benutzen?« STEPHAN M., STUTTGARTKennen Sie das Prinzip der »Widmung«? Das kommt aus dem öffentlichen Recht und meint die Erklärung, dass eine bestimmte Sache, meist eine Straße oder ein Gebäude, einem bestimmten Zweck dienen soll. Was will das hier? Sie haben die Dosen zu dem Zweck bekommen, das übrig gebliebene Essen nach Hause zu transportieren, nicht als Geschenk oder Leihgabe zur Verstärkung Ihres Haushalts. Zwar hätten Ihnen Ihre Gastgeber auch überzählige Dosen mitgeben können und für den Transport mit Essen füllen, doch kommt das, außer bei wohlmeinenden Müttern und Tanten, vergleichsweise selten vor. Also bleibt die Überlegung, ob die Essensspender darüber hinaus vielleicht ausdrücklich wollen, dass die Gefäße bei Ihnen nicht verstauben, sondern eingesetzt werden. Falls ja, erübrigt sich die Frage. Aber solange Sie das nicht sicher wissen, gilt eine ganz einfache Regel: im Zweifel immer der geringste Eingriff in die Sachen anderer.