Die Gewissensfrage

»Seit dem Tod Saddam Husseins kursiert das Video seiner Hinrichtung im Internet. Auch ich habe den Link zugeschickt bekommen, die Mail aber sofort gelöscht. Selbst falls es nur aus Neugier geschähe: Wenn man sich dieses Video ansieht, billigt man damit nicht die filmische Dokumentation der Tötung eines – nachweislich entsetzlichen – Menschen? Und damit die Hinrichtung selbst? Darf man sich diese Aufnahme ansehen, wenn man die Todesstrafe ablehnt?« DANIELA P., MÜNCHEN

Ihre Frage beinhaltet mehrere Ebenen. Zunächst das Verhältnis zur Todesstrafe. Natürlich würde es eine Doppelmoral darstellen, wenn man Hinrichtungen ablehnt und gleichzeitig voyeuristische Freude an ihrer Darstellung hätte. Die haben Sie aber nicht, Sie täten es lediglich aus Neugier. Deshalb die nächste Frage: Ist das verwerflich? Per se erachte ich Neugier nicht als negativ. Es handelt sich um eine spontane Reaktion, die auch einen biologischen Sinn verfolgt, zum Beispiel auf mögliche Gefahren aufmerksam zu machen. Der Verweis auf die Biologie kann aber nicht alles rechtfertigen. Selbstverständlich muss die Neugier ihre Schranken finden: etwa in der Privatsphäre oder der Würde anderer. Damit kommt man zur dritten Ebene: Werden diese Schranken bei der Veröffentlichung einer Hinrichtung überschritten? Ja, auch wenn Vollstreckungen hierzulande bis weit in die Neuzeit hinein sogar zum Zwecke der Volksbelustigung öffentlich erfolgten. Selbst wenn man die Todesstrafe bejahte, ausgeschlossen muss sein, dass der Delinquent – und sei er noch so schuldbeladen – erniedrigt wird. Das ist meines Erachtens jedoch der Fall, wenn er durch das Video seiner Hinrichtung hilfloser Gegenstand der Neugier wird, umso mehr, wenn Verhöhnungen dargestellt werden. Damit kommt man zum letzten Punkt der Betrachtung: Kann man die Würde eines Menschen verletzen, indem man sich zu Hause ein Video ansieht, ohne dass es irgendjemand bemerkt? Ich behaupte: ja. Allerdings kommt es hier entscheidend auf die Intention des Betrachters an. Weniger Bedenken hätte ich bei jemandem, der sich – gar gerade als Gegner der Todesstrafe – wirklich rein sachlich (!) über die Umstände der Vollstreckung informieren will. Befriedigt er damit jedoch auch seine Sensationslust, setzt er in seinen vier Wänden die öffentliche Zurschaustellung fort.