Sie fragen nach »natürlichen Bestimmungen« – offensichtlich gibt es die, ließe sich platt antworten, sonst könnten Sie ja auf natürlichem Weg Kinder bekommen. Wie steht es dann aber mit heterosexuellen Paaren, bei denen der Mann unfruchtbar ist? Auch für solche Paare scheint es eine »natürliche Bestimmung« zu geben, kinderlos zu bleiben. Dennoch wird die künstliche Befruchtung durch Fremdsamenspende in diesen Fällen von rechtlicher wie auch von ethischer Seite ganz überwiegend akzeptiert. Außerhalb fester heterosexueller Beziehungen jedoch sprechen sich nicht nur Richtlinien der Ärztekammern dagegen aus. Auch manche Moralphilosophen wollen eine Fremdsamenspende nur akzeptieren, wenn sie zur Überwindung einer auf Krankheit beruhenden Unfruchtbarkeit dient, nicht aber in anderen Konstellationen. Wenn hier eine unterschiedliche Bewertung erfolgt, muss sie sich mit sachlichen Unterschieden begründen lassen, sonst kann sie die Diskriminierung anderer Lebensformen nicht rechtfertigen und setzt sich dem Vorwurf aus, auf Vorurteilen zu beruhen; zumal andernorts, etwa in Dänemark, Holland oder den USA, liberalere Regelungen gelten. Als zentrales Leitbild und Hauptargument in der Diskussion dient den Gegnern einer Öffnung hier die heterosexuelle Paarbeziehung, vor allem die Ehe, mit der klassischen Vater-Mutter-Kind-Familie; die gelte es zu schützen und zu privilegieren. Andere, wie etwa die Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann, betonen dagegen, dass auch viele Kinder heterosexueller Paare heute nicht mehr in klassischen Eltern-Kind-Situationen, sondern in verschieden zusammengesetzten Patchworkfamilien leben. Die gesellschaftliche Aufgabe bestehe darin, langfristige, verantwortliche Beziehungen zu Kindern zu ermöglichen und zu fördern. Dies gelte »für heterosexuelle ebenso wie für homosexuelle Partnerschaften«. Da ich keinen der Beteiligten in seiner Würde verletzt sehe, richtet sich die Entscheidung für mich in erster Linie nach dem Kindeswohl; dieses darf, wie der Düsseldorfer Moralphilosoph Dieter Birnbacher formuliert, keinesfalls »einem fanatischen Kinderwunsch« untergeordnet werden. In dieser Hinsicht haben jedoch Untersuchungen in etlichen Ländern keine negativen Auswirkungen gleichgeschlechtlicher Elternschaften feststellen können. Selbst die befürchtete soziale Stigmatisierung ließ sich nicht nachweisen und dürfte mit zunehmender Toleranz ohnehin geringer werden. Wenn es darum geht, »Ehe und Familie« im traditionellen Sinne zu schützen, sollte dies aktiv geschehen; mit einer Beschränkung alternativer Lebensformen ist keinem Kind oder keinem Ehepaar geholfen. Man könnte, um Ihre Formulierung aufzugreifen, sogar provokant fragen, auf welche Art der »Natürlichkeit« es für ein Kind mehr ankommt: dass es ohne technische Eingriffe gezeugt wurde oder dass es in einer Situation aufwächst, welche ihm eine gedeihliche Entwicklung ermöglicht? Letzteres zu gewährleisten ist Ihre wichtigste Aufgabe. Dazu gehört auch, dem Kind die Möglichkeit zu geben, die Identität des Samenspenders und damit seine genetische Abstammung zu erfahren; eine Information, die für die Identitätsbildung und psychische Entwicklung große Bedeutung haben kann. Ihnen muss klar sein, dass wegen der besonderen Konstellation höhere Anforderungen auf Sie zukommen. Wenn Sie damit jedoch verantwortungsvoll umgehen, steht Ihrem Wunsch aus ethischer Sicht meines Erachtens wenig entgegen.
Die Gewissensfrage
»Meine Partnerin und ich wünschen uns ein Kind. Wir leben seit über vier Jahren in einer glücklichen Beziehung und in einem gesunden familiären Umfeld. Wir zweifeln nicht daran, dass wir fürsorgliche und liebevolle Eltern sein werden und auch den finanziellen Rahmen bieten können. Allerdings ist es uns als lesbischem Paar ja nun nicht möglich, gemeinsam ein Kind zu bekommen. Obwohl wir keiner bestimmten Glaubensrichtung anhängen, fragen wir uns doch, ob wir gegen natürliche Bestimmungen verstoßen, wenn wir eine Samenspende in Anspruch nehmen. Was meinen Sie?« CAROLA R., DÜSSELDORF