Hoffentlich gerate ich jetzt nicht in Verdacht, eine etwaige Unwahrheit Ihrer Worte auf dem Anrufbeantworter – in Wirklichkeit könnten Sie ja rangehen – kunstvoll zu zerreden. Eine Technik, welche die katholische Theologie im Gefolge des absoluten augustinischen Lügenverbots über Jahrhunderte perfektionierte. Zum Beispiel mithilfe des inneren Vorbehalts, der Reservatio mentalis: Fügen Sie, so diese Theorie, während Sie »Ich bin nicht zu erreichen« auf das Band sprechen, ein unhörbar geflüstertes »für dich« hinzu, sei dieser geheime Teil in einem mit dem laut verkündeten zu betrachten, und beides zusammen ergebe eben eine wahre Aussage. Doch halte ich das ebenso für Haarspalterei wie in der Ansage überhaupt eine Lüge zu erblicken. Das Band schaltet sich ein, weil niemand den Hörer abnimmt. Nicht mehr und nicht weniger. Punkt. Etwas anderes drückt selbst ein anderer im Voraus fixierter Wortlaut nicht aus und kann auch niemand erwarten. Und ich sehe auch keine Gemeinheit, fast im Gegenteil: Das Telefon ist ein blindes System. Wenn Sie jemanden persönlich treffen, sehen Sie, ob er gerade beschäftigt ist. Der Anrufer jedoch kann, so er nicht zur Unzeit anläutet, gar nicht wissen, ob er stört. Deshalb erachte ich es ihm gegenüber sogar als weniger nett, auch dann abzuheben, wenn man gar nicht sprechen kann oder will. Der Anwählende hat keine Chance, das im Voraus zu erkennen, und muss sich am Ende für das völlig legitime Unterfangen entschuldigen, das Telefon benutzt zu haben. Das erspart ihm der, der bei störendem Läuten erst gar nicht abhebt, sondern Band oder Mailbox rangehen lässt.Allerdings fehlt mir bislang der Hauptaspekt: Nicht ans Telefon zu gehen bedeutet schlicht, dass man den Anrufer nicht sprechen will. Diese Ablehnung des anderen und weniger das Vorgehen dabei könnten Ihnen Ihre Mitmenschen – wohl zu Recht – übel nehmen. Und am Ende erledigt sich das Problem von allein, weil keiner mehr anruft.
Die Gewissensfrage
»Manchmal habe ich keine Lust, ans Telefon zu gehen, lasse es läuten, bis der Anrufbeantworter einschaltet, und höre mir – implizierend, ich wäre nicht zu Hause – den Sprecher an. Ich freue mich, keinem Gelaber ausgesetzt zu sein, allerdings meldet sich ab und zu mein schlechtes Gewissen, gewürzt mit einer Prise Verlogenheit (Vorgeben falscher Tatsachen) und Gemeinheit (den Anrufer zu belauschen). Was denken Sie?« SABRINA T., HANNOVER