Die Gewissensfrage

"Neulich wurde ich von der Kassiererin eines Schuhladens nach meiner Postleitzahl gefragt – um künftig Werbebriefe besser steuern zu können, wie sie mir erklärte. Ich weigerte mich, ohne genau sagen zu können, warum. Und ich hatte dabei ein schlechtes Gefühl, weil mein Nein der Kassiererin sichtlich unangenehm war. Hätte ich mitmachen sollen?" Franzisca I., Bottrop

Dem legendären Industriellen und Gründer der Fordwerke Henry Ford wird der Satz zugeschrieben: »Die Hälfte meiner Ausgaben für Werbung ist zum Fenster hinausgeworfen. Ich weiß nur nicht, welche.« Der Schuhhändler möchte es herausfinden und bittet Sie um Ihre Mithilfe. Die stellt sich eher harmlos dar, seine Postleitzahl zu sagen bedeutet schließlich weder Aufwand noch die Preisgabe von Intimitäten. Da unnötige Werbung auch die Umwelt belastet, scheint sich bei einer Abwägung der beteiligten Interessen die Waagschale zugunsten des neugierigen Schuhladens zu senken.

Meines Erachtens tut sie das allerdings nicht wirklich. Denn auf Ihrer Seite liegt ein Schwergewicht: Ihr Recht auf Privatheit. Zum ersten Mal formuliert
wurde es 1890 von Samuel Warren und Louis Brandeis in der Harvard Law Review und definiert als »the right to be let alone – das Recht, in Ruhe ge-lassen zu werden«. Dazu zählt auch die Kontrolle über private Informationen, auch wenn es nur um Ihre Postleitzahl geht. Denn in diesem Zusammenhang ist es Ihre Postleitzahl.

Und damit steht es in Ihrer Entscheidung, ob Sie diese herausgeben wollen. Ich halte es für sehr grundsätzlich, ob man sich an dieser Stelle rechtfertigen muss oder nicht; und ich bin der festen Überzeugung, man muss es nicht. Für die Entscheidung, dass man keine Informationen über sich preisgeben will, reicht – dem Wesen der Privatheit entsprechend – eine einfache Begründung vollkommen aus: Ich will nicht. Punkt.
Darüber hinaus sehe ich in Ihrer Weigerung einen positiven Aspekt: Sie sensibilisiert. Eine der größten Gefahren für den Datenschutz sind unbedachte Preisgaben persönlicher Daten, etwa für lächerliche Werbegeschenke oder auf Internetplattformen. Da ist ein gelegentliches Nein an ungewohnter Stelle nur begrüßenswert und kann zum Nachdenken
anregen.

Meistgelesen diese Woche:

Weiterführende Literatur:
Samuel D. Warren & Louis D. Brandeis, The Right to Privacy, Harvard Law Review, Heft Nr. 5, Vol IV 1890; online abrufbar unter: http://www.lawrence.edu/fast/boardmaw/Privacy_brand_warr2.html
Beate Rössler, Der Wert des Privaten, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2001
Rainer Kuhlen, Informationsethik, UVK Verlagsgesellschaft - UTB Konstanz 2004
Raymond Geuss, Privatheit - Eine Genealogie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2002
Wolfgang Sofsky, Verteidigung des Privaten, Verlag C.H.Beck , München 2007
Marie-Theres Tinnefeld, Eugen Ehmann, Rainer W. Gerling, Einführung in das Datenschutzrecht, Oldenbourg Verlag, München 2005
Haben Sie auch eine Gewissensfrage? Dann schreiben Sie an Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin, Hultschiner Str. 8, 81677 München oder an gewissensfrage@sz-magazin.de..

Marc Herold (Illustration)