Die Gewissensfrage

Ist es in Ordnung, von der Partnerin Miete für die gemeinsame Wohnung zu kassieren?

»Ein befreundetes Paar will zusammenziehen. Er besitzt eine Wohnung, die abbezahlt ist. Sie wohnt zur Miete. Beide verdienen gut. Zunächst wollte sie zu ihm ziehen. Er wollte daraufhin eine ›halbe‹ Miete von ihr haben. Sie fand das unmöglich und wollte dann lieber zusammen eine neue Wohnung mieten. War es okay von ihm, von ihr Miete zu verlangen?« Michael H., Germering

Man kann Ihre Bedenken durchaus verstehen. Miete von der Lebenspartnerin für das gemeinsame Wohnen zu verlangen, hat einen gewissen Beigeschmack. Um Klarheit zu bekommen, sollte man jedoch die Alternativen genauer betrachten.

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Gesetzt den Fall, die beiden mieten eine gleich große gemeinsame Wohnung und teilen sich die Miete, bekommt er, wenn er seine nun nicht mehr benötigte Wohnung vermietet, von dort eine ganze Miete, zahlt selbst aber nur eine halbe. Die andere Hälfte zahlt sie, das ist genauso viel, wie sie als halbe Miete in seiner Wohnung zahlen würde. Finanziell gesehen sind diese zwei Varianten für beide also gleich.

Anders bei der dritten Variante: Zieht sie einfach so in seine Wohnung, spart sie sich ihre bisherige Miete. Für ihn ändert sich geldmäßig jedoch nichts. Finanziell gesehen, bedeutet ihr Einzug ohne Miete also eine Verschiebung zu ihren Gunsten.

Natürlich kann er in diesem Fall seine Wohnung, speziell wenn sie abbezahlt ist, gewissermaßen in die Beziehung einbringen. Dafür spräche sogar manches, unter anderem die Tugend der Großzügigkeit, die Idee der Gemeinsamkeit – und nicht zuletzt die Liebe. Nur ändert das nichts daran, dass er diese Wohnung, die ja auch Kapital darstellt, einbringt und seine Freundin mit den Erträgen dieses Kapitals in Form von ersparter Miete unterstützt; auch wenn dabei nicht direkt Geld fließt. Ob die beiden das in ihrer Beziehung wollen, ist deren freie Entscheidung und Geschmackssache.

Wollen sie es nicht, kämen mir außer der etwas unschönen halben Miete zwei Lösungen in den Sinn. Sie könnte als Ausgleich alle Nebenkosten übernehmen – oder sie zahlt die gesparte Miete auf ein Konto für gemeinsame Projekte. Ob als Vorsorge fürs gemeinsame Alter, für Anschaffungen oder für Vergnügen wie etwa Urlaube, ist dann wieder Geschmackssache.

Leseempfehlungen:
 

Zur Tugend der Großzügigkeit:
 

Aristoteles, Nikomachische Ethik, II. Buch, Kapitel 7, 1107b 8 ff.   Aristoteles unterscheidet dabei zwischen megaloprepeia, der Großzügigkeit in großen Dingen (auch mit Großgesinntheit übersetzt) und eleutheriothes, der Großzügigkeit in kleinen Dingen (auch mit Freigiebigkeit übersetzt).

Gute Übersetzungen der Nikomachischen Ethik gibt es von Olof Gigon bei dtv, München 1991 und Ursula Wolf im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg 2006

Illustration: Serge Bloch