Das Problem: Unser Computer besteht aus zahlreichen Teilen und Materialien, die mit Kinderarbeit und unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen hergestellt wurden.
Die Lösung: Alle Teile aus fairer und am besten auch noch nachhaltiger Herkunft. Susanne Jordan aus Bayern macht mit ihrer Firma Nager IT den Anfang.
Schon mal darüber nachgedacht, wie eigentlich der eigene Computer entstanden ist? Dieses Teil, das wir fast jeden Tag benutzen und auf das Sie vielleicht gerade starren? Die wenigsten von uns machen sich Gedanken, wo die Einzelteile herkommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden. Wenn man mal damit anfängt, landet man im bayerischen Bichl, in der WG von Susanne Jordan.
Jordan, 39, ist eigentlich von Beruf Geografin. Als sie nach dem Studium zwei Jahre lang für die deutsche Ratingagentur Oekom arbeitete, war sie damit befasst, Unternehmen, die Technik herstellen oder Minen betreiben, auf ihre Nachhaltigkeit zu bewerten. Bei ihrer Recherche stieß sie auf Kinder, die im Kongo in den Zinnminen schuften oder auf Arbeiterinnen, die auf den Philippinen im Akkord Smartphones zusammenstecken. Dabei wurden ihr einige Fakten so klar, dass sie nicht mehr zu verdrängen waren: Gerade in Computern steckt mehr Kinderarbeit und Menschenleid als in vielen anderen Produkten: »Sie werden fast immer in Asien produziert. Fast jeder Arbeitsschritt ist unfair. Die Menschen dort müssen mit giftigen Chemikalien arbeiten, oft ohne Schutzanzüge, mit Fertigungsquoten, die kaum zu erreichen sind.«
Anstatt es, wie der Rest der Menschheit, beim Bedauern zu belassen, begann Jordan zu recherchieren. »Die Schwierigkeit ist: Man weiß, dass es schlecht ist, aber wie macht man es besser? Ich wollte einen fairen Computer herstellen, mir wurde aber schnell klar, dass das für mich als Einzelperson so gut wie unmöglich ist.« Aber deshalb aufgeben? Nö. Die Einzelkämpferin machte sich stattdessen an eine machbare Lösung: wenigstens eine faire Maus herstellen.
Jordan gründete vor knapp zehn Jahren die Firma Nager IT, mit Hilfe von Familie, Freunden und kleinem Kapital. Als Nicht-Technikerin schraubte sie erst einmal so ein Ding auf und stellte fest: aha, nur etwa 20 Bauteile, das muss doch zu schaffen sein. Dann machte sie sich daran, bei jedem Bauteil zu recherchieren, wo es herkommt, unter welchen Bedingungen es entstand und ob es eine faire Alternative gibt.
Von außen betrachtet unterscheiden sich Susanne Jordans Mäuse nicht so sehr von den Computermäusen, die jeder im Internet bestellen kann: Sie sind schwarz, rot, grün oder braun, haben zwei Tasten und ein Rollrad. Aber Jordans Mäuse haben ein anderes Innenleben, und vor allem eine andere Herkunft. Das Gehäuse ist aus Bioplastik, das sie in Kooperation mit der Universität Hannover gestaltet hat. Das ist zwar nicht ganz auf dem eigenen Komposthaufen kompostierbar, wie manche Zeitungen geschrieben haben, aber doch wesentlich nachhaltiger als Petroleumplastik. Für die Herstellung hat Jordan eine Firma in ihrer Nähe gefunden, die integrative Werkstatt Retex in Regensburg. Dort freuen sie sich über ihre unkonventionelle Auftraggeberin, die mit dem Zug anreist, weil sie autolos lebt: »Die lebt ihr Produkt«, sagte Helmut Endl von Retex dem Bayerischen Fernsehen.
Jordan, ungeschminkt, schulterlange braune Haare, Wollpullover, jobbt nebenbei in der Umweltbildung und Kinderbetreuung, lebt bis heute in einer WG und zahlt sich selbst und ihren vier Angestellten einen Stundenlohn in einer Größenordnung, »von dem man leben kann, von dem aber vielleicht nicht jeder leben will. Ich kaufe Gebrauchtes, wo immer es geht, und achte darauf, dass ich möglichst wenig Schaden anrichte.«
Sie war auch selbst in China, hat sich vor Ort die Arbeitsbedingungen angeschaut und musste feststellen: »Überall schlecht.« Nur in einer Fabrik hätten die Leute weniger als 70 Stunden arbeiten müssen, »dafür war dort die Bezahlung unterirdisch«.
Was heisst überhaupt fair? »Wichtig ist, dass ein Lohn bezahlt wird, der angemessen ist, dass die Arbeitszeiten 60 Stunden nicht überschreiten, keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit, Diskriminierungsverbot. Es ist auch wichtig, dass die Leute sozialversichert sind, einen Vertrag haben und sich beschweren können.«
Ihre Mäuse sind derzeit »etwa zu 70 Prozent fair«. 100 Prozent fair geht noch nicht, für Bauteile wie den Sensor oder manche Rohstoffe gibt es derzeit keine faire Alternative. »In der Maus steckt zum Beispiel Zinn, dafür werden fast überall Kinder in den Minen ausgebeutet.« Nachhaltigkeit findet sie natürlich auch wichtig, aber ihr Fokus liegt auf der Fairness, «denn die Menschen leiden jetzt, jeden Tag.«
Jordan hofft, ein Zeichen zu setzen, ähnlich wie es vor Jahren mit fairem Kaffee geschah: »Keiner der Großproduzenten sagt plötzlich, ach, lasst uns doch fairen Kaffee anbieten.« Aber dann kamen kleine Pioniere, die fairen Kaffee produzierten und hip machten, und nun sind auch etliche Großkonzerne darauf angesprungen. So ähnlich wünscht es sich Jordan auch bei der Computertechnik. »Wir wollen den Weg ebnen.« Kabel, zum Beispiel, die sind derzeit ihr Projekt. Die ließen sich schon jetzt fair und nachhaltig herstellen, nur kann sie als Mini-Produzentin die Hersteller kaum dazu überreden. »Wenn die in Taiwan sitzen, die reden gar nicht mit uns.« Als kleine Abnehmerin hat sie Schwierigkeiten, die Lieferanten davon zu überzeugen, für sie die Produktion umzustellen: »Für Apple wäre das überhaupt kein Problem. Die haben zwar auch viele Lieferanten, aber eben Marktmacht.«
Jordan hat inzwischen etwa 35000 Mäuse verkauft, das meiste sind Einzelbestellungen von Privatkunden in ihrem Onlineshop oder in den Weltläden. Ein Großauftrag von 20.000 Stück von der Polizei Niedersachsen hat ihr sehr geholfen, das Bistum Köln hat 800 Stück bestellt, nun hofft sie für weitere Großaufträge auf die Umweltministerien und auch die bayerische Landesregierung, die angekündigt hat, sie wolle ab sofort nachhaltig einkaufen. »Man muss halt auch mutig sein, weil die Besteller bei öffentlichen Einrichtungen auch viel Gegenwind bekommen«, hat Jordan gelernt. Mit 30 Euro kostet die faire Maus deutlich mehr als die üblichen Billigmäuse, und »die Einkäufer müssen die Extrakosten rechtfertigen. Es ist für sie einfacher, Extraausgaben für eine Maus mit drei Tasten zu rechtfertigen, als faire Arbeitsbedingungen. Wenn das sowas Extravagantes ist wie Umweltschutz und Menschenrechte, wird da genau hingeschaut. Das wird als Luxus gesehen.«
Die Maus ist für sie ein guter Anfang. Eigentlich ist ihr Ziel, »dass es eine ganze Produktpalette gibt, aber nicht von uns«. Sie will nicht, dass ihre Firma größer wird – nur, dass ihre Vision andere ansteckt. »Wenn die Hälfte der Leute überhaupt fair kaufen würden, würde sich vielleicht auch mal eine Techfirma denken, wir machen jetzt faire Produkte. Ich glaube, es sind nicht mal drei Prozent, die in Deutschland fair kaufen.«
Woran hapert’s? »Die Branche ist extrem konservativ, der Preiskampf ist hart, was natürlich bei entsprechender Nachfrage kein Argument mehr wäre, weil faire Produkte ja auch lukrativ sein können, und das mit der Nachfrage ist halt schwierig, denn die Kunden können ja ihre Nachfrage nicht richtig ausdrücken, wenn es keine Produkte gibt.« Sie ruft dazu auf, »dass sich die Leute einfach trauen und sich selbständig machen. Man könnte bei den bestehenden Sachen wirklich viel schauen, wie geht das fairer? Man könnte gut kooperieren, Kabel braucht ja fast jedes Gerät. Oder Headsets ließen sich recht einfach fair herstellen.«
Susanne Jordan erinnert sich an den Aufschrei, den Entwicklungsminister Gerd Müller auslöste, als er im letzten Jahr ein Siegel für faire Textilien angekündigt hat. Bei der Kleidung hat sich mittlerweile, auch durch die tödlichen Brände in Textilfabriken in Billiglohnländern, bei vielen die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich bei den Produktionsbedingungen etwas ändern muss. Aber bei unseren geliebten Technikgeräten, unseren Computern und Smartphones, auf denen wir solche Geschichten lesen, achtet noch kaum einer darauf. »Letztlich«, sagt Jordan, »wären Sozialstandards in der IT-Industrie sinnvoll.«
Aber das müssen wir Konsumenten wollen. Und dann auch bereit sein, mehr Geld dafür hinzulegen, damit andere nicht mit ihrer Gesundheit bezahlen.