Das sogenannte öffentliche und rechtliche Fernsehen in Deutschland ist schwer zu verstehen, jedenfalls für all die, denen es nicht gleich einleuchtet, warum GEZ-Spitzelei, Verschwendungsorgien und Gremien-Korruption speziell demokratiefördernd sind.
In manchen Momenten immerhin werden in diesem Geld verschlingenden Rätselreich Muster deutlich, die das Ganze ein wenig durchschaubarer machen: Es sind die Michelle-Hunziker-Momente. Hunziker, daran sei noch einmal erinnert, ist eine Frau, die mal DSDS moderiert hat und in den letzten Jahren vor allem mit dem Satz zitiert wurde: »Sex wird überbewertet.« Sie war mit dem Sänger Eros Ramazzotti verheiratet, sie hatte den »schönsten Po Italiens«, sie machte über Silvio Berlusconi in einem seiner Sender sanfte Späße und spricht fünf Sprachen.
Menschen, die Angst haben vor unabhängigen, begehrenswerten Frauen, würden sie eine Männerfantasie nennen. Jetzt wird sie für Thomas Gottschalk die Wetten moderieren – sie ist damit die dritte jüngere Frau, die im Team mit einem älteren Moderator auftritt, nach Charlotte Roche und Katrin Bauerfeind.
Das Kalkül ist in diesem Fall klar: Diese Frauen, die auch schon ihre eigenen Sendungen und Karrieren hatten, sollen dem Grandseigneur di Lorenzo, dem Grandzyniker Schmidt, dem Grandshowmaster Gottschalk ein jüngeres, anderes Publikum bescheren.
Bei Gottschalk ist das noch dazu besonders kuhlenkampfig in seiner Hi-hi-das-ist-meine-Assistentin-Haftigkeit. Sein Samstagabend-Ideal kommt aus den Fünfziger-, seine Frisur aus den Siebziger-, sein Erfolg aus den Neunzigerjahren, das Konzept wird sterben, wenn er aufhört. Schon jetzt wirkt er wie jemand, der verzweifelt gegen das Ende anspielt.
Die Gäste auf seiner Couch sind so willkürlich und wiederholbar, sie gehorchen nur ihrer eigenen Logik, weil sie aus ihrer eigenen Welt geholt wurden. Es gibt für sie, und da kommt Michelle Hunziker ins Spiel, kein Draußen mehr. Sie waren immer schon da und immer schon weg.
Hunzikers Weg kann man zum Beispiel nicht wirklich eine Karriere nennen, zu viel Leerlauf, Stillstand, Warten. Tatsächlich aber ist dieser schon fast Sartre’sche Ennui, ist diese existenzielle Langeweile geradezu die Voraussetzung für ihren Erfolg jetzt.
Hunziker weiß, wie sich Fernsehen anfühlt. Die Menschen dort wirken frei, sind aber gefangen. Sie leben würdelos mit ihrem eigenen Schatten. Sie warten, dass jemand kommt und sie an ihr Schicksal erinnert. Wer je während einer Fernsehaufzeichnung im Aufenthaltsraum der Stars war, der wird verstehen, was Dante mit der Vorhölle meinte.
Die Rubrik 50 Zeilen wird abwechselnd von drei Autoren geschrieben. Auf Georg Diez folgt nächste Woche Tobias Kniebe, danach Andreas Bernard.