Wie ich mich mal mit Hemingway verwechselte

Als unser Autor jung war, trank und rauchte er beim Verfassen seiner Texte im Geiste des großen Schriftstellers – heute macht er Rückenübungen. Doch bei einem Cocktail namens »Journalist« lässt er die alten Zeiten nochmal aufleben.

Foto: Maurizio Di lorio

Ich hockte also mal wieder in einer Bar und ließ mir ausnahmsweise die Karte zeigen. Eigentlich kenne ich meine Drinks, Old Fashioned im Winter, Prince of Wales im Sommer, aber an ­diesem Abend dachte ich: Hey, alter Mann, probier doch mal was Neues. Und dann entdeckte ich ihn, den »Journalist«, und brach die Suche ab, weil das ja ein schöner Zufall ist, dass man auf einen Cocktail stößt, der so heißt wie der Beruf, den man ausübt – eine Erfahrung, die Kieferorthopäden eher verwehrt bleibt.

Der Journalist war mein erster und letzter, er war ziemlich stark und etwas bitter: Gin, weißer Wermut, roter Wermut, Orangenlikör, Zitronensaft und noch ein paar andere Zutaten, die mir gerade nicht einfallen. Weniger trocken als ein Martini, aber halt nicht ganz mein Geschmack. Trotzdem fragte ich mich den ganzen Abend lang, ­warum zur Hölle gibt es einen Cocktail, der Journalist heißt?

Ich war 28, hatte das Studium in der Tasche, die Journalistenschule geschafft, hockte in einer sehr alten, sehr charmanten Wohnung am Hamburger Hafen, wollte viel und wusste wenig: Ich bekam erste Aufträge, Honorare, sogar eine Steuernummer. Es kam mir unglaubwürdig vor, aber offenbar hatte ich jetzt so was wie einen Beruf, wirklich erwachsen war ich auf keinen Fall, denn immer, wenn ich schrieb, trank ich Rotwein dazu, und zwar gegen 13 Uhr, also gleich nach dem Aufstehen. Gelegentlich zündete ich mir eine Zigarette an, zog zweimal und vergaß sie auf einer Untertasse, weil ich Nikotin widerlich finde, aber das Gefühl hatte, dass meine Sätze ohne nicht richtig flutschten, selbstverständlich lief laute Musik.

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Offenbar hatte ich eine ziemlich konkrete Vorstellung von meiner neuen Tätigkeit: Wer schreibt, der trinkt, zumindest leidet er und richtet sich ein bisschen zugrunde. Okay, ich war nicht Hemingway und veröffentlichte keine Romane, sondern Kurztexte, die von einer erfahrenen Redakteurin umgeschrieben wurden, schon gar nicht hockte ich im Leinenanzug in Havanna, sondern im Motörhead-Shirt auf St. Pauli, aber ich hörte die Signalhörner der Kreuzfahrtschiffe und fühlte mich intensiver auf der Welt als jemals zuvor. Man kann es nicht anders sagen: Ich war der grandiosen Mythenmaschine des schreibenden Mannes (der ja meistens an seinen Texten gefeilt hat, während sich eine Frau einsam gefühlt oder um die Kinder ­gekümmert hat) ordentlich auf den Leim gegangen, aber hey, ich war am Ziel meiner Träume: Ich durfte schöne Sätze formulieren und wurde dafür bezahlt. Erst neulich las ich, was der Basic Instinct-Drehbuchautor Joe Eszterhas auf dem Höhepunkt seiner Karriere so zu sich nahm: jeden Tag »drei oder vier Flaschen Weißwein plus ein bisschen Gin, Tequila oder Bourbon plus hier und da ein paar Biere, dazu drei Schachteln – aber light«. Und ja, man muss ein bisschen lachen, wenn man das liest, aber halt nur zwei Sekunden lang.

Zwanzig Jahre später erzählen mir junge Journalisten, dass sie kaum noch reisen, und wenn, dann mit dem ICE von München nach Berlin und – wenn möglich – abends zurück. Dass sie mit 21 den Bachelor in irgendwas gemacht haben und im Büro nicht nur schreiben, sondern auch filmen, twittern, Podcasts produzieren, Bilder beschneiden und bearbeiten, Wochenenddienste schieben und Headlines formulieren können, die wegen einer Sache, die sich Suchmaschinenoptimierung nennt, super geklickt werden. Ich bewundere und bemitleide sie gleichermaßen. Ich könnte das nicht. Ich trinke auch nicht mehr, wenn ich schreibe, sondern mache Pausen und Rückenübungen. Dafür darf ich jetzt Kolumnen schreiben. Manche werden kaum noch umgeschrieben.