Im Mittleren und Nahen Osten ist der Ayran seit mehr als tausend Jahren das Getränk, das man seinen Gästen anbietet, als Willkommensgruß, zur Erfrischung und als erste Sättigung nach langer, beschwerlicher Reise. Denn er ist Trunk und Speise in einem: Zu zwei Teilen besteht er aus vollfettem, säuerlichem Schafs- oder Kuhmilchjoghurt, zu einem Teil aus Wasser. Mit etwas Salz wird er aufgeschlagen, manchmal mit Zitronenmelisse, Minze oder Basilikum verfeinert und mit einer schönen Schaumkrone serviert. Dem indischen Lassi und dem russischen Tan ist er nicht unähnlich.
Und doch ist der Ayran ein unverwechselbares Kulturgut, vor allem in der Türkei. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan erhob ihn im Jahre 2013 in den Rang eines offiziellen Nationalgetränks. Seither ist es bei Strafe verboten, den Ayran herabzuwürdigen. Die Härte des Gesetzes traf unlängst die Firma Çaykur, Hersteller eines Eistees mit dem putzigen Namen »Didi«. Sie bewarb ihr wachmachendes Produkt mit dem frechen Slogan »Ich habe Ayran getrunken, das hat mich einschlafen lassen«. Das türkische Handelsministerium sah darin eine »grundlose Beleidigung« des Nationalgetränks, auch werde den Konsumenten die »schlechte Botschaft« vermittelt, dass sie weniger davon trinken sollten. Çaykur wurde zu einer Zahlung von rund 70 000 Euro verurteilt.
In Deutschland ist der Ayran ein noch weitgehend unpolitisches Getränk, doch zumindest in multikulturellen Kiezen wie Berlin-Kreuzberg oder Köln-Mülheim ebenso beliebt wie zwischen Bosporus und Anatolien. Vor gut fünfzig Jahren haben ihn türkische Gastronomen, die ihren Landsleuten nach Deutschland gefolgt waren, in den hiesigen Markt eingeführt. Heute ist er in jedem gut sortierten Supermarkt erhältlich, traditionell salzig, aber auch mit Mango- oder Kirschgeschmack. Er löscht den Durst und stillt den Hunger der Schulkinder, die von der Schule zum Bolzplatz oder zum Blockflötenunterricht laufen, und ist eine immerhin nahrhafte Ergänzung zu den trockenen Thai-Nudeln, die sich manche von ihnen aus der Tüte direkt in den Mund schütten. Er kuriert auch den Kater der urbanen Bohemiens, die am Vorabend ein Craftbeer zu viel hatten und nun kaum einen klaren Gedanken für ihren Modeblog fassen können. Die Säure fördert den Alkoholabbau im Körper, das Salz ersetzt die verlorenen Mineralstoffe.
Wer den Ayran verzehrt, in welcher Lebenssituation auch immer, sollte bedenken: Er ist einem kulinarischen Desaster entgangen, wenn auch nicht sonderlich knapp. Denn hätten die Araber nicht im achten Jahrhundert die Turkvölker islamisiert, ihnen nicht aus Glaubensgründen den Genuss von Alkohol und damit ihres damaligen Lieblingsgetränks verleidet, stünde heute womöglich vergorene Stutenmilch in den Kühlregalen. Kumys, so lautet der Name des Gesöffs, schmeckt laut dem unerschrockenen Journalisten Gerd Ruge, der mutig genug war, es einmal auf einer Expedition in die asiatische Steppe zu probieren, in etwa »wie Joghurt mit Bier«.
Das klingt nun doch recht unappetitlich. Allah sei’s gedankt, dass es anders kam. Dass die vergorene Stutenmilch vom Ayran verdrängt wurde, dem Clausthaler alkoholfrei des Nahen Ostens.