Wie ein als Rum verkleideter Whisky

Der »Ti Punch« besteht nur aus drei Zutaten. Das Verhältnis? Nicht so wichtig: Soll sich doch jeder seinen Tod selbst zubereiten, sagen die Menschen von den Französischen Antillen. Und wie schmeckt er?

Foto: Erli Grünzweil

An die Karibik habe ich genau drei Erinnerungen. In der ersten fahren meine Gefährtin und ich die Landstraße von Havanna nach Viñales entlang, auf einmal Feuer, schwarzer Rauch, ein dumpfer Schlag, danach stundenlange Vorwürfe, warum ich es als erwachsener Mann nicht hinkriege, diesen verdammten Reifen zu wechseln, und warum sie jetzt für 3,99 Euro pro Minute auf dem Handy ein Youtube-Video schauen müsse, um es heraus­zufinden? In der zweiten sitze ich jeden Abend in einer anderen Bar, über mir flappt ein Deckenventilator, in meinem Mund steckt eine Zigarre, weil ich mir erfolgreich einrede, dass man das auf Kuba so macht, dass man ja auch nicht nach Italien fährt, um keine Spaghetti zu essen. Ich weiß noch, dass die Zigarren im Laufe der Reise immer dicker und länger wurden, am Ende vertrug ich sie sogar einigermaßen. Der Vorsatz, das Ritual auch zu Hause in meine Tagesroutine zu integrieren, ging trotzdem genau null Tage auf. In der dritten sitze ich vor einem gigantischen Pool in Varadero, einen Pappbecher mit warmem Gin Tonic in der Hand, umringt von schwäbischen Rentnern in Kurzarmhemden – und an mehr erinnere ich mich leider doch nicht.

Einen vorzüglichen Drink aus der Karibik habe ich leider erst viel später kennengelernt, ironischerweise an einem verregneten Abend in München. »Ein letzter Drink?!«, fragte ich den Barkeeper meines Vertrauens. Wie so oft war ich unentschlossen und wollte von einem anderen Menschen erlöst werden. Zwei Minuten später stand er vor mir, durchsichtig, eine Limettenspalte, ein quadratischer Eiswürfel, er sah aus wie ein Gin Tonic in einem handlichen Tumbler. Ich nippte, nippte noch mal, nahm dann einen kräftigen Schluck und mochte das Zeug auf Anhieb: erfrischend, fruchtig, leicht säuerlich – schon stark, aber gar nicht scharf im Geschmack. »Ein petit Punch«, klärte mich der Barkeeper auf, »ein kleiner Punch«, beziehungsweise, eigentlich kürze man ab und sage nur »Ti Punch«. Der Ti Punch ist ein unkomplizierter Klassiker aus drei Komponenten: Rhum Agricole, Limettensaft (für die fruchtigen Noten) und Rohrzucker (für die Süße). Die Mischung kann jeder selbst bestimmen. Es gibt keine Regel oder Vorschrift, wie schon erwähnt stammt der Drink aus einer Gegend, wo der nächste Strand immer gleich ums Eck liegt, da ist man lässiger als in Berlin oder London. »Chacun prépare sa propre mort«, sagen die Menschen dort: »Soll doch jeder seinen Tod selbst zubereiten.«

Der Ti Punch kommt von den Inseln der Französischen Antillen wie Martinique, Guadeloupe oder Saint-Barthélemy. Verantwortlich für seinen unverwechselbaren Geschmack ist der Rhum Agricole, der im Gegensatz zu herkömmlichem Rum nicht aus Zuckerrohrmelasse, sondern reinem Zuckerrohrsaft hergestellt wird. Das mag nach einer Angelegenheit für Rum-Nerds klingen, tatsächlich ist der Unterschied gewaltig, weil es sich bei Rhum Agricole um ein grundsätzlich anderes Getränk mit herberem, erdigerem, gra­sigem Geschmack handelt, man könnte sagen: um einen als Rum verkleideten Whisky. Streng genommen ist der Ti Punch auch gar kein klassischer Cocktail, weil er nicht von einem Barkeeper erfunden wurde, sondern einfach nur nachahmt, wie auf den Französischen Antillen üblicherweise Rum getrunken wird. Wundern Sie sich also nicht, wenn er Ihnen ohne Eis vor die Nase gestellt wird. In diesem Fall ist der Service sogar besonders realistisch, denn so trinken ihn die Arbeiter auf den Zuckerrohrplantagen, wenn sie mal Pause machen.

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Ach ja, suchen Sie Rhum Agricole erst gar nicht im Supermarkt um die Ecke. Die Chance, dass Sie ihn bekommen, ist winzig. Im Fachhandel oder im unvermeidlichen Internet werden Sie ihn aber sicher finden.