Auf dem Spielplatz, als die Kinder noch klein waren, ich war wie so oft mit Buggy, Laptop-Tasche und Buddelzeug angehetzt. Hinter mir lag ein Tag im Büro, vor mir ein Abend, an dem ich nacharbeiten musste, wozu ich nicht gekommen war, weil ich durch die Stadt gerast war, um die Kinder zu irgendwelchen Aktivitäten zu bringen und dann wieder abzuholen. Während ich nun mit einer Hand die Kinder auf der Schaukel anstieß und mit der anderen auf dem Handy Mails abrief, fiel mein Blick auf die drei jungen Mütter am Spielplatzrand. Sie saßen mit überkreuzten Beinen auf dem Schotterboden, jede hatte ein kleines Bier dabei, und während sie ihre Kinder beobachteten, nahmen sie immer wieder einen Schluck aus der Flasche. Ich kann diese Szene und das Gefühl des Glücks, das ich beim Zuschauen empfand, bis heute abrufen: Mütter in der Nachmittagssonne, bei einem Feierabendgetränk. Es sah richtig aus. Zunächst.
Ich habe damals, wie sich herausstellte, einen Trend beobachtet. Mütter, die sich nicht nur zwischendurch Alkohol gönnen, um runterzukommen, sondern das auch zeigen. Es fing damit an, dass Frauen Fotos von Gläsern posteten und dazu Sätze wie: »Das Teuerste am Kinderhaben ist der Wein, den man trinken muss.« Es folgten Videos von angeschickerten Müttern, die sich selbstironisch »Wine Moms« nannten, und auf Instagram lief der Hashtag »Mommys need wine« rauf und runter. Der Fruchtsafthersteller Tropicana warb schließlich mit Eltern, die im Bad oder im Kleiderschrank Alkohol verstecken, um sich in einem ruhigen Moment einen Cocktail zu mixen. Wein-Mamas, das war die Botschaft, können alles haben, Kinder, ein Leben und sogar Zeit für sich.
Ich verstehe das alles sehr gut. Ich habe Kindergeburtstage genutzt, um mit anderen Eltern Crémant zu trinken, und mir nicht selten zum Hausaufgabenmachen mit den Kindern ein Bier geholt. Trotzdem verstört mich das Phänomen. Denn auch wenn das jetzt ungewohnt moralisch klingt für die Autorin, den Ort und das alkoholfreundliche deutsche Gemüt generell: Alkohol vor Kindern ist nicht gut, sollte mehr Ausnahme als Regel sein, und Trinken im Alltag kann in eine Sucht führen. Ich verstehe, wenn Mütter sich das nehmen wollen, was Vätern schon immer zugestanden wurde, das Recht, sich auch mal gehen zu lassen. Ich finde es nur furchtbar, wie Frauen das schon wieder als Selbstbefreiung verkauft wird.
Denn wer sind die Wein-Mamas? Es sind zum einen Frauen, die es sich leisten können, Witze über ihren Alkoholkonsum zu machen, weil sie weiß, verheiratet und aus der Mittelschicht sind und keine Angst haben müssen, dass man ihnen das Jugendamt an den Hals hetzt. Vor allem aber sind es Frauen, die nicht nur die meiste Care-Arbeit an der Backe haben, sondern dabei auch noch unter dem gesellschaftlichen Druck stehen, alles haben zu müssen, Kinder, Karriere, Coolness. Die sich nicht beschweren, wenn wieder mal etwas auf sie abgewälzt wird, weil das nämlich zu viel Kraft kosten würde. Die lieber ruhig sind oder sich selbst ruhigstellen.
Als es mit Corona losging, also mit Homeoffice, Homeschooling und Home-Burn-out, kam folgender Witz auf: »Wenn Sie denken, 2020 ist gefährlich: 2050 wird das Land von Kindern geführt, die von weintrinkenden Müttern zu Hause unterrichtet wurden.« Ich muss sagen, ich finde das überhaupt nicht lustig.