Als ich neulich in die Küche ging, sprach der Tee zu mir. Genauer: die Schildchen an den Beuteln. Darauf stand, dass ich mich nicht mit anderen vergleichen soll und immer sagen, was ich denke. Im Regal war auch ein Tee, der behauptete: »Happiness is … Frau sein«, einer, der mir helfen wollte, ein Kind zu bleiben, und einer, der mich dafür lobte, »Menschen, Kräuter, Pflanzen und die Erde zu unterstützen«. Nur der weiße Tee schwieg.
Ich gehöre eigentlich nicht zu den Leuten, die sich schnell bevormundet fühlen. Die fürchten, dass ihnen Meinungen aufgedrückt werden. Allerdings gibt es inzwischen kaum ein Getränk mehr, das einem nicht irgendetwas mitteilen will. Angefangen hat es mit den Smoothies. Die Aufdrucke auf den Glasflaschen mit den verdünnten Fruchtpürees (»Nur die Liebe quält«, »Glas mir einen«) klangen wie ein aus dem Ruder gelaufener Junggesellenabschied. Sprüche für Smoothies in dunklen Flaschen wie »Unser Quotenschwarzer« oder »Schafft es selten über die Grenze« sorgen regelmäßig für Diskussionen, ob die Grenzen des Sagbaren auch für zermantschtes Obst gelten.
Auch im Wein liegt nicht mehr die Wahrheit, sondern außen auf dem Wein drauf. Ich weiß noch gut, wie ich letztens in einem dieser Berliner Bezirke, in denen besonders viel Wert darauf gelegt wird, dass alle so sein dürfen, wie sie wollen, Weißwein bestellte. Der Kellner stellte mir eine Flasche auf den Tisch, auf der in riesigen Buchstaben zu lesen war: »If you are racist, a terrorist or just an asshole – don’t drink my Sauvignon blanc«.
Es ist klar, warum Getränke zu Botschaftern werden. Wenn man heute etwas konsumiert, fragt man nicht nur, was man konsumiert und unter welchen Bedingungen es entstanden ist. Sondern man fragt vor allem, warum man etwas konsumiert. Und wenn eine Entscheidung für ein Produkt einen Grund braucht, ist es logisch, dass die Produkte selbst eine Erklärung liefern. Am besten gleich eine ganze Haltung, die wichtigste Währung der Zeit. Außerdem soll ein Reflex bedient werden. Über einen schimpfenden Wein, einen Tee, der einem etwas vorschreiben will, oder einen sexistischen oder rassistischen Smoothie regt man sich auf. Und sich aufzuregen gilt als authentisch. Ich empöre mich, also bin ich.
Ich muss oft an die Milch mit den vermissten Kindern denken. In den USA wurden früher auf Milchkartons Fotos von Kindern gedruckt, nach denen man Ausschau halten sollte. Man nimmt jeden Morgen die Milch aus dem Kühlschrank und sieht darauf ein Kind, dem möglicherweise etwas Schlimmes passiert ist – wie geht man damit um? Haben die Leute darüber geredet, oder gab es einen Konsens unter Eltern, die Kinder damit zu verschonen? Hat man die Bilder hingenommen wie die Gewinnspiele auf den Cornflakes-Packungen, oder hat man dieses tägliche Leid irgendwann nicht ausgehalten und etwas darüber geklebt, so wie manche Leute ihre Zigarettenschachteln in Extra-Packungen stecken, damit sie die Warnhinweise nicht sehen müssen? Vielleicht wäre das keine schlechte Idee: Überzieh-Flaschen für Getränke mit Weltanschauung. Selbst gehäkelte Teebeutel-Verkleidungen oder Vintage-Kartonboxen für Smoothies, ich sehe da einen Trend auf Etsy.
Und dann: Endlich Ruhe beim Genießen.