»Nach dem Abi wusste mein Sohn mehrere Jahre nichts mit sich anzufangen, reiste, jobbte beim Film. Dann wollte er Regie studieren. Weil er an den Film-Unis nicht genommen wurde, startete er vor drei Semestern ein Studium der Philosophie und Geschichte. Nun sagte er mir, dass er keinen Bachelor machen, sondern nur so studieren wolle. Sein Opa (mein Vater) unterstützt ihn finanziell. Wenn er wüsste, dass sein Enkel keinen Abschluss machen will, würde er ihm den Geldhahn zudrehen. Ich bin nun im Loyalitätskonflikt zwischen den beiden. Was tun?« Sabine G., Berlin
Ohne mich allzu sehr in die berufliche Zukunft Ihres Sohnes einmischen zu wollen, können Sie ihm aber, wenn Sie möchten, gerne einen schönen Gruß von mir ausrichten und ihm meinen Verdacht schildern, dass man nicht unbedingt Regie studiert haben muss, um Regisseur zu werden. Viele große Regisseurinnen und Regisseure haben nicht Regie studiert: Chantal Akerman hat ihr Filmstudium nach wenigen Monaten abgebrochen. Quentin Tarantino hat direkt gleich die Filme studiert. Helmut Dietl hat Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte studiert, ohne einen Abschluss zu machen, und dann offenbar alles Entscheidende in der Praxis gelernt, als Regieassistent am Theater, als Aufnahmeleiter beim Fernsehen.
Und dann finde ich, Ihr Sohn sollte seinem Großvater unbedingt die Wahrheit sagen. Sie klingen aus der Ferne nach einer sehr vernünftigen Familie. Vielleicht wäre es ein wahnsinnig schönes Gespräch, wenn Ihr Sohn seinen Großvater zum Frühstücken besuchen würde, um ihm die ganze Lage zu schildern, in der er offenbar steckt. Wenn ich mich richtig erinnere, ist die Phase, in der man noch nicht genau weiß, was man eigentlich werden soll, eine angstbesetzte und unsichere Zeit. Ich erinnere mich, damals ein dickes grünes Buch mit dem Titel Studien- und Berufswahl Seite für Seite mit wachsender Verzweiflung durchgearbeitet zu haben, bis ich zuletzt nahezu jede Möglichkeit durchgestrichen hatte. Angefangen habe ich dann mit Anglistik. Nach einem Semester wieder abgebrochen. Das war aber keine Faulheit damals, sondern lähmende Unsicherheit. Mangelndes Selbstvertrauen vielleicht auch. Unwissenheit.
Ich stelle es mir schön vor, man hätte einen Großvater, der einem da mit all der Erfahrung, die er hat, etwas raten könnte. Oder mit dem man das besprechen könnte. Ohne Lügen. Ohne Angst.