Das Dilemma des Bücher-Verleihens

Unsere Leserin hat ein Buch an ihre Nachbarn verliehen – und beschädigt zurückbekommen. Soll sie es ansprechen? Oder um des Friedens willen schweigen?

Illustration: Serge Bloch

»Nachbarn habe ich ein großes Bilderbuch ausgeliehen. Nun bekam ich es beschädigt zurück. Mir fiel gleich auf, dass zwei Seiten lose waren, und später, dass die erste Seite rausgerissen wurde. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das vorher nicht so war. Man hat ja Sorge, sich zu irren, aber meine Bücher behandle ich sehr pfleglich. Was tun? Es ansprechen? Stillschweigend die Seiten kleben, neues Buch kaufen, um des Friedens willen?« Annette S., per Mail

Zwei Formulierungen in Ihrer Frage machen stutzig. Sie sind sich »ziemlich« sicher, dass das Buch vorher nicht beschädigt war. Und: »Man hat ja Sorge, sich zu irren.« War Ihr Bilderbuch unbeschädigt, als Sie es verliehen haben, oder nicht? Wenn Sie sich nicht ganz sicher sind, ist Ihnen dringend davon abzuraten, die Nachbarn auf die Schäden anzusprechen. Anschuldigungen, in denen ein Zweifel steckt, sind schrecklich peinlich. »Sie haben – vielleicht – mein Buch kaputt gemacht.« Nein, das geht nicht.

Aber halb so schlimm, denn Sie haben nun mehrere Möglichkeiten: a) Sie kaufen sich das Buch noch mal neu und vergessen die Sache; b) Sie schauen, ob Sie das Buch irgendwo antiquarisch »wie neu« finden, kaufen es etwas günstiger und vergessen die Sache noch schneller; c) Sie kleben die Seiten und verdrängen die Sache; oder d) Sie gehen mit dem Buch zu einem Buchbinder und lassen es professionell repa­rieren. Ein paar Seiten einkleben kostet maximal zehn Euro, wie mir eine Mitarbeiterin der Buchbinderei Georg Konrad in der Münchner Schellingstraße am Telefon sagte, und dass da was repariert worden sei, sehe man hinterher nicht. Ist eigentlich die ausgerissene erste Seite noch drin? Das ganze Buch neu zu binden wäre nämlich um einiges teurer, käme dann jeweils sehr aufs Format an. Falls Sie jemals wieder etwas verleihen wollen, prüfen Sie vorher, in welchem Zustand der Gegenstand ist. Macht man bei Mietwagen ja auch.

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Immerhin eines muss man Ihren Nachbarn, die vielleicht Ihr Buch unpfleglich behandelt haben, vielleicht aber auch nicht, lassen: Sie haben es zurückgegeben. Das kann man weiß Gott nicht von jedem Buch behaupten, das jemals verliehen wurde. In bedauerlich vielen Fällen werden die eigentlichen Besitzer niemals erfahren, wie mit ihrem Buch umgegangen worden ist.