»Meine Mutter ist Grafikdesignerin. Jedes Jahr gestaltet sie eine Weihnachtskarte, die sie an Freunde und Verwandte verschickt. Zuletzt bestand die Grafik aus Coronavirus, Männlichkeitssymbol und Hakenkreuz. Überschrift: Resilienz statt Virulenz. Gemeint war Resilienz gegen Corona, gegen Rechts und Gewalt durch Männer an Frauen. Den Grundgedanken teile ich. Aber mir ging die gemeinsame Darstellung des Hakenkreuzes mit dem Männlichkeitssymbol zu weit. Können Sie dies nachempfinden?« Linda H., Göttingen
Was wäre die Aufmerksamkeitsökonomie ohne Nationalsozialismus? Wer um jeden Preis Aufsehen erregen will, fährt mit Hakenkreuz und so weiter natürlich immer gut. Ich kann allerdings Ihr Befremden sehr gut verstehen. Also ehrlich gesagt sogar wahnsinnig gut. Und das wird bestimmt auch vielen Empfängerinnen und Empfängern der Karte so gegangen sein. Wie viele Menschen, die mit dem Patriarchat so ihre Probleme haben, werden sich beim gemütlichen Öffnen der Vorweihnachtspost schon wirklich gefreut haben, zwischen all den Glöckchen und Tannenzäpfchen auch ein Hakenkreuz als Ornament zu sehen, mal ganz abgesehen davon, dass die Verwendung dieses Symbols in Deutschland ohnehin strafbar ist. Wird auf jeden Fall wach gemacht haben.
Und darum scheint es Ihrer Mutter ja zu gehen. Wachrütteln ist gerade vielen ein Bedürfnis, das während der langen und für uns alle zähen Corona-Zeit noch erheblich an Fahrt aufgenommen hat. Da wird dann schnell vieles, was gar nichts miteinander zu tun hat, in einem großen Wachrüttel-Topf zusammengeworfen. Es tut mir leid, wenn das zynisch klingt, aber ein Hakenkreuz mit dem Coronavirus zusammenzudenken, empfinde ich ebenfalls als zynisch. Muss ich nicht weiter ausführen, Sie und ich, wir wissen ja beide, was wir meinen. Und dann auch noch alle Männer qua ihres Mannseins in Verbindung zu einem mörderischen, menschenverachtenden System zu bringen, ist natürlich ebenfalls, sagen wir, ungeschickt.
Nun ist aber gerade eh alles so aufgeheizt, die Nerven liegen blank, alle sind dünnhäutig und in höchster Hassbereitschaft. Wollen wir also eingedenk der christlichen Botschaft, die meines Wissens auf Nächstenliebe hinausläuft, die gute Absicht höher bewerten als die schlechte Grafik. Denn es könnte ja viel schlimmer sein. Stellen Sie sich nur mal vor, Ihre Mutter hätte für die gegenteilige Botschaft eine grafisch absolut geniale Karte designt.