SZ-Magazin: Herr Kinski, 2003 sind Sie von Los Angeles nach Berlin gezogen. Wie hat die neue Stadt Sie verändert?
Nikolai Kinski: Die Erfahrung, sprachlos hierherzukommen, hat mich gefordert, hoffentlich auch ein wenig entwickelt. Ich spreche seither Deutsch, lebe und arbeite in einem neuen Raum – in meinem Haus gibt es sozusagen ein neues Zimmer, meine Möglichkeiten sind gewachsen.
Warum wollten Sie weg aus L. A.?
Die Stadt ist wie Schummeln. Und wie sollte man über das Leben berichten können, wenn man nur dort ist? An welches Ereignis seit Ihrem Umzug erinnern Sie sich besonders gern?
Dass ich 2008 noch die Gelegenheit hatte, mit dem viel zu früh verstorbenen Peter Zadek am St.-Pauli-Theater arbeiten zu dürfen. Wir spielten Nackt von
Pirandello. Zadek war körperlich schon sehr gebrechlich, geistig aber topfit.
Sie haben sich gut verstanden?
Er war auch so ein Wanderer zwischen den Welten. Es gab so etwas wie eine Seelenverwandtschaft zwischen uns. Er wollte mich auch in seinem letzten Stück Major Barbara von George Bernard Shaw besetzen, aber das ging zeitlich nicht wegen der Dreharbeiten zu Die zwei Leben des Daniel Shore.
Das ist der Film, der gerade im Kino läuft und in dem Sie die Hauptrolle spielen.
Ja – es ist ein ganz verrückter Film, wie er sonst eigentlich nur in Frankreich oder von Polanski gedreht wird. Zuerst baut der Regisseur Michel Dreher in aller Ruhe Daniel Shores zunehmenden Realitätsverlust auf, um dann plötzlich dem Zuschauer die Ereignisse so kompakt um Augen und Ohren fliegen zu lassen, wie der es gar nicht erwartet. Die ganze Spannung kommt aus dem Verlangen des Zuschauers, Daniel Shore besser zu verstehen. Ist er Opfer oder Täter? Wahnsinnig oder einfach nur sehr aufmerksam?
Ihren ersten Film Paganini haben Sie 1989 zusammen mit Ihrem Vater Klaus Kinski gedreht. Fiel damals die Entscheidung, Schauspieler zu werden?
Ja, ich war damals elf, danach hat mich der Virus nie mehr losgelassen.
Ist es für Sie Segen oder Fluch, dass Ihr Vater in Deutschland eine Legende ist?
Dass er eine Legende ist, freut mich sehr, es ist ein großer Segen. Dass die Presse bei allem, was ich tue, einen Zusammenhang zu ihm konstruieren will, ist ein Fluch. Aber ich kann mich noch gut daran erinnern, dass auch mein Vater sich immer darüber aufgeregt hat, dass man ihn auf die Psychopathen reduzierte, die er oft gespielt hat. Auf etwas reduziert zu werden, was mit dem eigenen Alltag nicht viel zu tun hat, ist immer doof, bei Schauspielern aber wohl Berufsrisiko.
Wie ist das bei Ihnen?
Bisher habe ich das große Glück, auf keine bestimmte Rolle festgelegt zu sein. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nicht über mein Privatleben spreche und es daher kein öffentliches Bild von mir gibt, das mir immer wieder zur Selbstdarstellung angeboten werden könnte.
Zwar möchten Sie nicht ständig mit Ihrem Vater verglichen werden, mit seinem Schaffen setzen Sie sich aber doch stolz und öffentlich auseinander. So sind Sie durch Deutschland getourt und haben seine Gedichte rezitiert.
Ich habe sehr viel dafür getan, dass seine Kunst nicht so schnell in Vergessenheit gerät. Auf die Idee, dass man mich deshalb mit ihm vergleichen könnte, bin ich gar nicht gekommen. Schließlich versucht man den, mit dem man sich vergleicht, dadurch auch immer ein wenig herabzusetzen. Ich aber tue ganz offensichtlich das Gegenteil.
Gibt es noch andere Literatur, die wichtig war in Ihrem Leben?
Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil. Und Peter Handkes Stück Selbstbezichtigung. Ich hatte gerade ein paar Monate Deutsch gelernt, als ich aus diesem wunderbaren Text mit Mieze (von der Band MIA) ein Hörbuch gemacht habe. Für mich war das ein unvergesslicher Crashkurs in Deutsch und eine Art Selbstreflexion. Aber ich bin auch süchtig nach Film, Musik und bildender Kunst.
Welcher Film hat Sie zuletzt bewegt?
I’m Not There von Todd Haynes. Sein Film über Bob Dylan ist für mich die Mutter aller kreativen Filmbiografien geworden. So oder ähnlich müsste man sich meinem Vater filmisch nähern, das könnte dann sogar meinen Segen finden.
Foto: Roman Goebel