Rund um die Uhr

Ein britischer Künstler läuft riesige geometrische Spuren in den Schnee. Wir haben ihn gebeten, für uns aktuelle Uhrenmodelle nachzuspuren.

Ein Merkmal moderner Technik ist ja, dass man sie oft überschätzt. Wer meint, mit Smartphone und Stadtplan-App sei alles total einfach, hat sich nie mit dem Handy in der Hand in einer fremden Stadt verlaufen, während die Software darauf beharrte, es hätte alles seine Richtigkeit.

Betrachtet man die Bilder oben in diesem Text, ist der erste Gedanke: Toll, wozu ein Mensch in der Lage ist, der mit Landkarten-Apps, Drohnen und spezieller Software solche Mus­ter von seinem Zeichenblock in die Natur übertragen kann.

Doch dann spricht man mit Simon Beck über seine Schneebilder und hört ihn am Telefon lachen: »Nein, mit Technik hat das nichts zu tun!« Seine Bilder entstehen ganz analog, er braucht dafür nur einen Kompass, eine Skizze – und viel Zeit.

Seine Methode funktioniert so: Er entwirft die Motive in seinem Haus in den französischen Alpen. Dann berechnet er die Größe so, dass jeder Millimeter seiner Zeichnung genau einem Schritt entspricht. Mit einem Kompass läuft er dann die Form ab, zählt die Schritte und setzt kleine Stöcke als Markierung. Kreise zieht er mit einer langen Schnur, wie ein menschlicher Zirkel. So lässt Beck Muster entstehen, die von oben betrachtet so präzise aussehen, als hätte eine Maschine sie in die Landschaft gefräst. Rund acht Stunden braucht er für so ein Motiv, das oft so groß ist wie mehrere Fußballfelder – etwa dreißig Kilometer legt er dabei zurück. Manche Linien stapft er mit seinen Schneeschuhen mehrfach ab, damit die Striche dicker werden. »Man braucht eigentlich nur passende Kleidung und einen hervorragenden Orientierungssinn«, sagt Beck, der sich selbst einen »Schneekünstler« nennt. Warum tut er das?

Vielleicht weil Simon Becks Leben nicht ganz geradlinig verlaufen ist – und ähnlich wie seine Kunst oft erst mit etwas Abstand betrachtet Sinn ergibt. Weil Beck in der englischen Wirtschaftskrise in den Neunziger­jahren trotz Ingenieursstudiums in Oxford keine Arbeit fand, widmete er sich seinem Hobby, dem Orientierungslauf. Das ist ein Sport, in dem Menschen mit einer Landkarte und einem Kompass möglichst schnell be­stimmte Kontrollpunkte in der Natur finden müssen – eine Mischung aus Ausdauer- und Denksport. Beck wurde schnell zu einem Meister dieser Disziplin. Er konnte sich ohne technische Hilfe so gut im Gelände orientieren und danach exakte Pläne seiner Strecke aufzeichnen, dass er Berater für Landkartenfirmen wurde. »Ich verfüge wohl über das seltene Talent, dass ich mir Wege sehr gut einprägen kann«, sagt er.

Simon Beck macht nun seit fast zehn Jahren rund vierzig Schneebilder pro Jahr – jetzt hat der sechzig­jährige Künstler ein neues Material für sich entdeckt: Diesen Sommer hat er ähn­liche Bilder auch am Strand in den Sand gestapft.

Foto: Pierre Thomas  

Doch Beck langweilt sich auch schnell. Im Jahr 2004, da war er Mitte vierzig, beschloss er, dass es Zeit für etwas Neues sei. Er zog nach Frankreich, fuhr viel Ski und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Als er sich am Fuß verletzte und nicht mehr regelmäßig durch unwegsames Gelände rennen konnte, machte er einen langen Spaziergang durch den Neuschnee – und kam dabei auf jene Idee, die heute sein Leben bestimmt. Beck dachte sich immer komplexere Formen aus, die er in den Schnee stapfte, Kreise, Würfel, riesige Schneeflocken. Die Fotos, die er von seinen Bildern macht, werden im Internet millionenfach geteilt. Heute verdient er sein Geld damit.

Die Uhren auf diesen Seiten hat er exklusiv für das SZ-Magazin in den Schnee getreten. Und die Motive passen sehr gut zu seiner Technik. Ein still stehender Zeiger, ein eingefrorener Moment, der doch so vergänglich ist – denn nach einer neuschneereichen Nacht sind seine Bilder wieder verschwunden.

Text: Till Krause